von Sascha Karolin Aulepp
Mit dem neuen „Sozialstaatskonzept 2025“ überwindet der SPD-Parteivorstand endlich das „System Hartz IV“ und legt den Grundstein für eine gerechte Absicherung. Seit 2003 arbeitet sich die SPD an der „Agenda 2010“ ab. Die Hartz-Reformen haben das Gerechtigkeitsempfinden vieler verletzt. Und wir wissen in Bremen aus nächster Nähe, Hartz IV hat auch nicht funktioniert. Obwohl die Wirtschaft im Land Bremen brummt, gibt es 16.000 Langzeitarbeitslose und 35.000 Kinder in „Hartz IV“. Über 75 % der Arbeitslosen beziehen „Hartz IV“ und nicht das statussichernde ALG I, 2/3 der Arbeitslosen haben keine abgeschlossene Berufsausbildung. Ihnen allen kann das aktuelle System keine ausreichenden Perspektiven bieten. Das haben auch diejenigen lernen müssen, die die Hartz-Reformen als notwendige Erneuerung eines veralteten Sozialstaatssystems begrüßt haben.Deshalb ist es notwendig und richtig, dass die SPD ein neues „Sozialstaatskonzept 2025“ beschlossen hat.
Ziel dieser Erneuerung des Sozialstaats ist, allen Menschen gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Das Sozialstaatskonzept des SPD-Parteivorstandes ruht auf drei Säulen:
Arbeit ist mehr als das Gehalt am Ende des Monats
Wir wollen dafür Sorge tragen, dass Arbeit zur Grundlage gesellschaftlicher Teilhabe und zur auskömmlichen Sicherung eines würdevollen, selbstbestimmten Lebens wird. „Jeder hat ein Recht auf Arbeit” schreibt deshalb die Bremische Landesverfassung. Bundesgesetze sind dieser Forderung leider nicht gefolgt. Es ist an der Zeit, dies nachzuholen.
Die im kapitalistischen System begründeten ständigen Bemühungen von Unternehmen, die Löhne ihrer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen so niedrig wie möglich zu halten, müssen Hand-in-Hand mit den Gewerkschaften unterbunden werden. Ziel ist, dass Menschen, die arbeiten, von dieser Arbeit gut leben können und nicht auf Sozialleistungen angewiesen sind.
Und wir brauchen auch eine klare Untergrenze. Die Erhöhung des Mindestlohns auf 12€ ist der richtige Schritt. Arbeit muss mindestens den Lebensunterhalt sicherstellen. Als Staat müssen wir dafür Sorge tragen, dass man von seiner Arbeit gut leben kann. In Bremen hat die SPD mit ihrem Aufschlag zur Erhöhung des Landesmindestlohns einen Schritt in diese richtige Richtung gemacht. Wir wollen auf Landesebene gerne wieder Vorreiter werden, wie wir es mit der Einführung des Mindestlohns 2012 schon waren.
Um die Beschäftigungssituation der Arbeitnehmer und -nehmerinnen nachhaltig zu verbessern, brauchen wir eine höhere Tarifdeckung und mehr betriebliche Mitbestimmung. Die Menschen, die den Gewinn eines Unternehmens erwirtschaften, müssen in Zukunft auch stärker an diesem beteiligt werden. Dafür muss den Arbeitgebern und Arbeitgeberinnen das Vetorecht bei der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen entzogen werden. Ebenso sollen Regierungsaufträge nur noch an Unternehmen vergeben werden, die einen Tarifvertrag abgeschlossen haben. Beide Maßnahmen werden maßgeblich dazu beitragen, dass mehr Menschen eine gerechte Bezahlung für ihre Arbeit erhalten werden.
Zudem darf niemand durch den Sozialstaat gezwungen werden, jede noch so schlecht bezahlte Arbeit anzunehmen. Die SPD will deswegen das Arbeitslosengeld stärken und gleichzeitig Möglichkeiten zur Weiterbildung schaffen. Wer jahrelang eingezahlt hat, darf nicht schon nach ein paar Monaten in die Grundsicherung fallen. Die Erhöhung der Bezugsdauer für diese Menschen ist ein wichtiger Schritt, um die Lebensleistung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmer*innen besser zu würdigen!
Die Chancen der Digitalisierung und der immer schneller fortschreitenden Automatisierung der Arbeit, unser Leben zu erleichtern, müssen genutzt, auf die ebenfalls in der Digitalisierung liegende Bedrohung der Arbeit – und damit der Lebensgrundlage – breiter Bevölkerungsschichten muss reagiert werden. Eine Reform unseres jetzigen Sozialstaats muss dafür sorgen, dass die Digitalisierung als Chance für alle wirkt. Dafür müssen wir für die Beschäftigten in den betroffenen Branchen auch Aufstiege fördern und Abstiegsbremsen einbauen.
Ebenso wollen wir Arbeitssuchenden Qualifizierungsmöglichkeiten garantieren und das Arbeitslosengeld weitaus länger auszahlen, wenn sie diese Möglichkeiten wahrnehmen, so schaffen wir die Grundlage für eine erneute Beschäftigung in einer sich ändernden Arbeitswelt. Kurz: wir finanzieren Arbeit, nicht Arbeitslosigkeit!
Kinder raus aus Hartz IV
Kinder sind nicht erwerbsarbeitslos und gehören nicht in ein System der Arbeitslosensicherung, das darauf ausgerichtet ist, Menschen in Erwerbsarbeit zu vermitteln. Sie verdienen deswegen eine eigene Grundsicherung! Und jedes Kind ist gleich viel wert. Das „Hartz-System“ spaltet aber bereits unsere Kleinen –sei es auf Klassenfahrt, im Verein oder beim Mittagessen in der KiTa / Schule – in vermeintliche „Sozialleistungsbezieher“ und „Nicht-Sozialleistungsbezieher“. Mit einer eigenständigen Grundsicherung für alle Kinder und Jugendlichen holen wir auf einen Schlag 35.000 Menschen in Bremen aus „Hartz IV“.
Außerdem beendet eine Kindergrundsicherung, die mit steigendem Einkommen abschmilzt, die Ungerechtigkeit des jetzigen Kindergeldes, damit Eltern mit höheren Einkommen nicht länger mehr Leistungen für die elterliche Betreuung und Erziehung erhalten, als Familien mit weniger Einkommen. Gleichzeitig können Eltern aufgrund einer solchen Kindergrundsicherung den Leistungsbezug leichter verlassen: weil sie aus dem SGB II die Geldleistungen eines normalen Singles erhalten, wird es deutlich leichter, sich „über Hartz IV zu arbeiten“. Weil der beste Weg, Armut von Kindern zu verhindern, ist, ihre Eltern in gut entlohnte Arbeit zu bringen.
Ein gerechter Sozialstaat ist ein Grundrecht
Die Leistungen unseres Sozialstaats sind soziale Rechte, die den Menschen zustehen. Sie sind Inhaberinnen und Inhaber dieser Rechte, keine Bittsteller. Der Sozialstaat muss die Einzelnen und ihr Schicksal respektieren. Er muss Instrumente schaffen, die den individuellen Anforderungen und unterschiedlichen Problemstellungen der Menschen gerecht werden.
Durch die genannten beiden Säulen werden zukünftig deutlich weniger Menschen auf die Grundsicherung angewiesen sein. Für diejenigen, die absehbar weiterhin auf Grundsicherung angewiesen sein werden, bedarf es einer fairen Sicherung des Existenzminimums sowie der Hilfe zur Selbsthilfe.Der Sozialstaat ist nicht dazu da, Arbeitssuchende unter Druck zu setzen. Sanktionen wollen wir deswegen weitgehend abbauen, Kürzungen der Wohnkosten oder gar komplette Kürzungen der Leistungen soll es in Zukunft nicht mehr geben. Wem man den Küchentisch wegnimmt, der kann keine Bewerbungen schreiben! Genauso sollen die besonders harten Sonderregelungen für unter 25 Jährige abgeschafft werden.
Stattdessen gehört in den Mittelpunkt, was für die Zielgruppe die höchste Bedeutung hat: eine Ausbildungsvermittlung ohne Zuständigskeitswirrwarr, Gesundheitsförderung, Schuldner- und Suchtberatung sowie Unterstützungsmaßnahmen für Alleinerziehende.
Wir müssen soziale Politik auf Bundesebene durchsetzen
Der Aufschlag des SPD-Bundesvorstands ist ein großer Schritt in die richtige Richtung. Vielleicht trägt das auch dazu bei, das in den letzten Jahren verlorengegangene Vertrauen zurückzugewinnen. Die Auseinandersetzung mit der Agenda 2010 ist dafür unerlässlich, weitere Schritte sind aber dringend nötig, um die Menschen wieder für die SPD zu gewinnen. Der Vorschlag zur Grundrente von Hubertus Heil ist dafür ein gutes Beispiel. Auch die Höhe des Existenzminimums und damit des Regelsatzes für Bezieher und Bezieherinnen der Grundsicherung muss dringend realistisch ermittelt und angepasst werden, ein Thema, das zwar durch die Bremer SPD bereits beschlossen wurde, sich aber bis jetzt noch nicht im Vorschlag des Bundesvorstands findet.
Klar ist, dass die Umsetzung dieser Konzepte in einer Regierung mit CDU/CSU kaum möglich sein wird. Die Union hält mit Kritik nicht zurück und scheint eine Umsetzung gar nicht erst in Betracht zu ziehen. Auch zahlreiche Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände – wie z.B. die “Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft” – laufen bereits jetzt Sturm gegen die SPD-Vorschläge.Ein deutliches Zeichen dafür, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Sascha Karolin Aulepp ist Landesvorsitzende der SPD Bremen, Abgeordnete der Bremer Bürgerschaft und dort Fraktionssprecherin für Recht und Justiz. Ihre Arbeit als Richterin am Amtsgericht Bremen ruht zurzeit.