Aber Bill Gates kontrolliert doch wirklich die WHO! – Wie begegnen wir den “Hygiene-Demos”

Erinnert sich noch wer an die sogenannten Montagsmahnwachen? Diese seltsamen Querfrontveranstaltungen die sich im Zuge der Ukraine-Krise 2014 formierten, ihren Wortführern Ken Jebsen und Jürgen Elssässer ungeahnte Popularität verschafften und wieder versandeten. Nun ja, unter dem irreführenden Titel “Hygienedemo” ist die Querfront wieder da und mit ihnen ein Haufen alte und neue Verschwörungstheorien. Und wieder stellt sich die Frage, wie gehen wir mit ihnen um?

Auf dem ersten Blick scheint die Frage einfach zu beantworten: Kein Fußbreit (mindestens latent) antisemitischen Verschwörungstheorien, kein Fußbreit den Führern, wie Ken Jebsen und ihren rechtsextremen Parolen und kein Fußbreit völkischer Ideologie. Denn darum geht es schließlich: Wer hinter den Maßnahmen zur Eindämmung einer Pandemie geheime Mächte vermutet, die “das Volk” umerziehen und knechten wollen, muss sich die Frage gefallen lassen, wer denn diese geheime Elite sei? Hier werden alte antisemitische Vorurteile bedient, wonach hinterlistige Juden die aufrechten Völker des Westens unterjochen wollen. Wir das Volk wurden belogen von den Eliten und ihren Handlanger*innen in den Mainstream-Medien! Das Volk müsse endlich aufwachen und sich wehren!

Wie lächerlich eine Verschwörungstheorie auch sein mag – am Ende läuft es fast immer darauf hinaus, dass geheime Mächte die Welt kontrollieren und wir diese Mächte ausrotten möchte. Das man mit “diesen geheimen Elite” eigentlich “die Juden” meint, braucht nicht laut gesagt werden, denn die Angesprochenen wissen es entweder bereits oder sollen erstmal nicht abgeschreckt werden.

Wie begegnen wir Menschen, die singen und Äpfel verteilen?

Also alles doch ganz einfach? Wie bei Nazi-Aufmärschen schnell eine Gegendemo organisieren, der Gegenseite die üblichen Parolen an den Kopf werfen und die Demos der selbsternannten Corona-Skeptiker so gut wie möglich blockieren? Ich glaube, so einfach ist es nicht und das droht uns hier zum Verhängnis zu werden. 

Denn zumindest in Bremen konnten wir sehen, dass die Gegenseite nicht nur aus den üblichen Faschos besteht. Vielmehr überwiegen Menschen mit Eso-Hintergrund, die man eigentlich eher am Demeter-Wochenmarktstand trifft. Es werden Äpfel verteilt als Symbol der Erkenntnis und um das Immunsystem zu stärken, am Ende wird statt “Die Gedanken sind frei!” lieber “Die Grundrechte sind tot!” gesungen. Ihnen gegenüber stehen Menschen, die “Nationalismus raus aus den Köpfen!” rufen.

Haben die Hygiene-Demos etwa doch recht?

Noch schwieriger wird es, wenn von den Corona-Skeptikern reale Missstände angesprochen und kritisiert werden. Gerade arme Kinder leiden unter den Schulschließungen, gerade Frauen sind jetzt von häuslicher Gewalt bedroht, Eltern werden nicht ausreichend unterstützt und ja, Politik und Wirtschaft sind stärker verwoben als wir es uns wünschen würden. Wer, der*die sich links nennt, würde da widersprechen wollen? Und wenn wir es uns mal genauer angucken – kontrollieren wohlhabende Einzelspender*innen (wie Bill Gates) nicht wirklich die WHO, weil sich die reichen Länder der Welt seit Jahren einen schlanken Fuß machen?

Man muss nicht an „Impfmafia“ oder 5G-Spinnereien glauben, um einen autoritären Überwachungsstaat doof zu finden. Bild: Recherche Nord

Auf den Querfrontdemos werden viele Punkte genannt, die auch regelmäßig in linken Diskursen herausgearbeitet werden und gegen die nicht selten auch demonstriert wird. Stehen wir Gegendemonstrant*innen also am Ende auf der falschen Seite?

Auch mit wahren Elementen bleiben Verschwörungstheorien Bullshit!

Nein, natürlich nicht! Eine Verschwörungstheorie ist nicht falsch, weil ihre Einzelteile falsch sind, sondern weil sie die falschen Schlüsse aus realen materiellen (und ungerechten) Verhältnissen zieht. Sie ist falsch, weil sie falsche Erklärungen für reale und nachweisbare Dinge vorbringt und dabei auch immer ein politisches Ziel verfolgt, dass aus einer linken progressiven Position heraus abgelehnt und bekämpft werden muss.

Das bedeutet aber auch, dass wir nicht den Fehler machen sollten, die materiellen Ungerechtigkeiten in denen die Verschwörungstheorie verankert ist, zu leugnen. Das fällt zugegeben schwer, wenn Heilpraktiker*innen einen etwas von Chemtrails, Impfpropaganda und 5G-Verstrahlung erzählen. Jedoch findet man sich sonst schnell in der Situation wieder, den bestehenden Status Quo zu verteidigen. Dabei ist es doch gerade das, was wir nicht wollen.

Die Realität ist auch nicht besser. 

Als linke progressive Bewegung müssen wir diesen Vorteil, den wir gegenüber liberalen Verteidigern des Status Quo, haben auch nutzen. Weil wir nicht ein ungerechtes System verteidigen müssen, können wir das Problem direkt ansprechen: Ja, etwas läuft gewaltig falsch in dieser Welt und das Problem heißt Kapitalismus! Und gegen den helfen keine Theorien über geheime Eliten, vielmehr lenken sie ab und festigen damit die bestehenden Verhältnisse.

Genau das müssen wir im Kampf gegen Verschwörungstheorien herausarbeiten. Die Menschen die Ken Jebsen und Co hinterherlaufen, so verrückt und absurd sie auch wirken, haben das Gefühl, dass etwas nicht richtig läuft. Verschwörungstheorien bieten die falschen Erklärungen für dieses Gefühl, sie bedeuten aber nicht, dass dieses Gefühl unberechtigt ist. Wir müssen deswegen die richtigen Antworten geben, bestehende Probleme konsequent adressieren – nicht verteidigen und dabei weiterhin klare Kante gegen obskure Theorien zeigen. Dabei dürfen wir Fehler der Vergangenheit im Umgang mit Rechten nicht wiederholen – klare Kante heißt auch, Null-Toleranz für Überzeugungstäter*innen und ihre Lügen, Null-Toleranz für rechtes und antisemitisches Gedankengut.

Auf den sogenannten Hygienedemos heißt die Antwort auf alle Probleme immer wieder: Zurück zur Normalität durch Aufhebung der Maßnahmen. Das können wir nicht akzeptieren, weil es unsolidarisch gegenüber allen Menschen aus Risikogruppen ist und wir können es nicht akzeptieren, weil der Normalzustand – und nicht geheime Eliten – die jetzigen Probleme erst verursacht hat.

von Jan Möller

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Titelbild: Recherche Nord (https://recherche-nord.com)

Ein Gedanke zu “Aber Bill Gates kontrolliert doch wirklich die WHO! – Wie begegnen wir den “Hygiene-Demos”

  1. „Die Realität ist auch nicht besser“ trifft es ganz gut. Noch im Frühjahr klatschten die Menschen für die Pflegekräfte, am Ende des Jahres haben sie trotz eines unglaublichen Kraftakts Einsparungen zu verkraften. Das kann auf Dauer nicht gutgehen. Die Schlussfolgerung würde ich aber trotzdem nicht komplett mittragen.

    Ein kanadischer Politiker – mir ist entfallen, welcher – hat mal in einem Interview gesagt, es gebe gesellschaftliche Bereiche, die besser privatisiert (kapitalistisch) funktionieren würden, und welche, die besser staatlich (sozialistisch) funktionierten. Das Gesundheitssystem nannte er als Beispiel für etwas, das definitiv in staatliche Hand gehört. Ich sehe nicht „den Kapitalismus“ als Problem; vielmehr sehe ich es als problematisch, dass viele Politiker und auch Menschen anscheinend glauben, man könnte sozialistische und kapitalistische Elemente nicht in einem Staat vereinigen. „Soziale Marktwirtschaft“ wäre, wenn der Begriff nicht schon so verbrannt wäre, eine gute Zusammenfassung dafür.

    Wo ein privatisiertes Gesundheitssystem hinführen kann sehen wir sehr eindrücklich in den USA; allgemein dienen die USA als sehr gutes Beispiel dafür, wo unbalancierter Kapitalismus hinführt. Aber reiner Sozialismus funktioniert meiner Meinung nach auch nicht, da muss man sich nur mal Staaten wie den untergegangenen Ostblock oder Nordkorea angucken. Ich finde, Kanada macht das ganz gut, gibt den Bürgern Sicherheit ohne auf die Freiheit des einzelnen zu verzichten. Die USA war ja auf einem ganz ähnlichen Weg, bis dann die Republikaner entdeckten, dass man mit Steuersenkungen und Angstmache vorm bösen Kommunismus sehr gut Wahlen gewinnen konnte („Reaganomics“).

    In Deutschland hat man meiner Meinung große Fehler gemacht und Bereiche privatisiert die nicht privatisiert gehören. Diese Fehler wieder auszubügeln ist nun die eine Aufgabe; die andere, das Land sozialer zu machen, ohne dabei bankrott zu gehen. Das ist ein Drahtseilakt, der gar nicht so einfach ist.

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