Spätestens seit dem Tod von George Floyd ist das Thema Rassismus und Gewalt von Polizist*innen auch in Deutschland wieder auf der Tagesordnung. Die Fronten sind verhärtet, die Gräben sind tief. Auf der einen Seite, Schwarze Menschen, People of Colour, Opfer von Polizeigewalt zusammen mit solidarischen Unterstützer*innen. Gegenüber steht geschlossen die deutsche Polizei, die Polizeigewerkschaften in seltener Einigkeit und die versammelte Innenpolitik. So sicher wie die einen rassistische Gängeleien und ungerechtfertigte Gewalt von Beamten erlebt haben, so sicher sind sich die anderen, dass es bei der Polizei weder strukturellen noch sonst irgendeinen Rassismus zwischen Amtsstuben und Hundertschaften gibt. Und wenn, dann sind das sicherlich nur sehr vereinzelte Einzelfälle.
Die Debatte überschlägt sich stündlich. Jeder geschilderten Geschichte wird entgegen geschleudert: Ja, das könne schon sein. Ja, das wäre auch schlimm. ABER die Polizei insgesamt ist gut. Das kommt so reflexhaft und an jeder noch so unpassenden Stelle, dass es dafür eigentlich nur zwei mögliche Erklärungen gibt: Gibt es eine bisher unbekannte Krankheit, die es unmöglich macht Betroffenheit ohne nachgeschobenen Restriktivsatz zu formulieren? Oder hat Deutschland doch nicht ganz so viel aus der Geschichte gelernt und bis heute ein höchst ungesundes Verhältnis zu Staat und Autorität?
Ersteres lässt sich wohl ausschließen. Zumindest wäre es die erste Krankheit, die ganz besonders Angehörige der Polizei und Innenpolitiker*innen über nahezu alle Parteigrenzen hinweg befällt. Die zweite Annahme scheint deutlich besser zu passen und wäre auch nicht neu. Schon im vergangen Jahrhundert diskutierte die Öffentlichkeit immer wieder den deutschen Hang zum Autoritären Charakter. Vielleicht ist auch genau das die symptomatisch beschriebene Krankheit, an der der deutsche Patient leidet.
Jede Kritik wird als Generalverdacht gegeißelt
Ob krankhaft oder nicht – es führt dazu, dass scheinbar nur unter Abweisung eines Generalverdachts über das Handeln der Polizei gesprochen werden kann. Wer aufmerksam der Debatte folgt, wird dabei feststellen, dass dieser „Generalverdacht“ ausschließlich von Personen aus dem Unterstützerkreis der Polizei unterstellt wird. Kaum jemand auf den zahlreichen Demonstrationen der vergangenen Wochen hat pauschal „Alle Polizisten sind Rassisten!“ gerufen. Erstaunlich selten sah man „ACAB“-Schilder. Niemand mit Verstand unterstellt allen Polizist*innen pauschal rassistisch zu sein oder politisch rechts zu stehen.
Dabei wäre ein Generalverdacht mehr als sinnvoll und ein Ausdruck einer mündigen Gesellschaft. Ein Generalverdacht, der sich nicht gegen die einzelnen Beamte richtet, sondern gegen die institutionellen Träger staatlicher Gewalt insgesamt. Dazu gehören neben Polizei auch Ordnungsamt und Justiz. Der Staat übt über die Polizei und andere Sicherheitsbehörden sein Gewaltmonopol aus, dafür haben wir als Gesellschaft auch grundsätzlich das Recht auf Kontrolle und sollte misstrauisch sein. Denn immerhin wird diese Gewalt in ihrem Namen ausgeübt. Wird uns aber das Recht auf diese Kontrolle abgesprochen, so gefährdet das die Akzeptanz des staatlichen Gewaltmonopols massiv. Nur wenn Bürger*innen das Gefühl haben die staatlichen Akteure handeln in ihrem kollektivem Interesse und agieren nicht gegen sie, fassen sie Vertrauen. Die Geschichte zeigt uns, dass überbordende Sicherheitsapparate irgendwann nicht mehr kontrollierbar sind.
Generalverdacht muss im System abgebildet werden
Das gute an einer Krankheit, wie auch an einem unreflektierten Verhältnis zur Polizei, ist: Es lässt sich heilen. Wir brauchen Institutionen, die das Gewaltmonopol der Exekutive überwachen. Vorschläge dazu liegen längst auf dem Tisch. Wir brauchen flächendeckend Ansprechpersonen bei der Polizei für Anliegen von Bürger*innen und Kolleg*innen und ein gutes Feedback-Management, auch bekannt als Fehlerkultur. Wir brauchen unabhängige Ermittlungsstellen außerhalb von Polizei und Innenministerien, die in strafrechtlich relevanten Fällen Untersuchungen und eigenständige Ermittlungen durchführen können. Und wir brauchen eine funktionierende parlamentarische Kontrolle. Es braucht Antidiskriminierungsgesetze, Berlin kann hier Vorbild sein. Racial Profiling wird nicht einfach verschwinden, es muss aktiv bekämpft werden. Soll es in Zukunft verhindert werden, braucht es bspw. ein Quittungssystem, um Transparenz herzustellen und die Rechte von Betroffenen zu stärken.
Schafft es die Politik diese Maßnahmen endlich umzusetzen und die Polizei transparent und bürger*innenfreundlich aufzustellen, gehen wir erste Schritte zu einer Genesung. Bis der Rassismus aus unser Gesellschaft verschwindet, dürfte es noch ein langer Weg sein. Rassismus in staatlichen Institutionen müssen jetzt angegangen werden, schließlich sollen sie uns alle vertreten.