von Falk Wagner, Delegierter zum SPD-Parteikonvent
Vor einigen Tagen postete mir zum Geburtstag ein Lokaljournalist zu den üblichen netten Wünschen noch einen Wink mit dem Zaunpfahl mit auf die Facebook-Pinnwand, ein Zitat von Herbert Wehner: „Unsere Stärke muss sein: Orientieren statt irritieren!“ Man muss schon schmunzeln, wie gut diese Empfehlung zum aktuellen Kurs der SPD auf Bundesebene passt; anschließend allerdings muss man sich erschrecken, wie gut sie passt.
VDS ist und bleibt unverhältnismäßig
Am Samstag liegt dem Parteikonvent ein Antrag des Parteivorstandes zur Vorratsdatenspeicherung vor. Ich finde, es handelt sich um einen ehrlichen Antrag. Es wird nicht vom Thema abgelenkt, sondern transparent argumentiert, was ich lobenswert finde. Aber den Kern der Kritik berührt der Antrag nicht: Das Vorhaben ist und bleibt die anlasslose Überwachung des Telekommunikationsverhaltens aller Menschen in Deutschland. Ein so schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte ist und bleibt unverhältnismäßig. Über diese Frage werden wir beim Parteikonvent noch intensiv diskutieren.
Aber unabhängig davon, wo man sich in dieser Frage positioniert, kommt man zwangsläufig dazu zu fragen: Wie ist es eigentlich erneut zu dieser Debatte gekommen? Nach einem Gesetz, das vom Bundesverfassungsgericht für grundrechtswidrig erachtet wurde, einer EU-Richtlinie, die der EuGH kassiert hat und ablehnenden Beschlusslagen der weiten Mehrheit der SPD-Landesverbände – wieso diskutieren wir diese Frage überhaupt schon wieder? Eine Frage, mit der es für die SPD nichts zu gewinnen gibt – außer den Hohn und Spott der Internetgemeinde über abstruse Argumentationsgänge, dass die Vorratsdatenspeicherung angeblich Terroranschläge in Frankreich oder Norwegen verhindert oder sogar die NSU-Morde früher aufgeklärt hätte. Warum all das – nur aus einer Laune der Parteiführung heraus?
Die Vorratsdatenspeicherung ist nur einer der jüngeren Fälle, die diese Frage aufwerfen. Unsere Erfolge – Mindestlohn und Rente mit 63 oder Zukunftsthemen wie die Familienarbeitszeit – werden in der öffentlichen Wahrnehmung von uns selbst untergepflügt mit einem Wirrwarr aus Diskreditierung zivilgesellschaftlicher Initiativen, Kommunistenhetze in der Bild-Zeitung oder maßloser Kritik an der Linkspartei.
Liebe Genossinnen und Genossen, wir wollen doch wieder eine Bundesregierung führen! Die Öffentlichkeit aber könnte meinen, man wolle nicht mehr sein als der Juniorpartner. Es fällt schwer, unter diesen Umständen den Menschen zu erklären, was das Profil der SPD auf Bundesebene ist, was die Erzählung unserer Partei für die Zukunft ist. Und wenn es einem gerade einmal gelungen ist, ein Profil herauszuarbeiten – Meilensteinen wie Mindestlohn, Rente mit 63 oder Elterngeld Plus sei Dank – wird es durch die nächste Spontan-Kehrtwende wieder kaputt gemacht. Über schlechte Umfragewerte muss man sich unter diesen Umständen nicht wundern.
Der Parteikonvent als Kriseninterventionsteam
Es ist unter eben diesen Umständen übrigens besonders schwer, der eigenen Parteibasis ihre Fragen zu beantworten, die immer intensiver, immer verständnisloser, immer ungeduldiger werden: Was machen die in Berlin da eigentlich ständig? Wo kommen immer diese thematischen Launen her, die jedes Mal wie eine Flutwelle über unsere Arbeit vor Ort hereinbrechen? Und warum wird eigentlich nie ein einziger der Anträge, die wir zum Parteikonvent schicken – dem Gremium, das wir extra als zusätzliche Vertretung der Basis geschaffen haben – auch nur behandelt?
Langsam gehen mir die versöhnlichen Antworten aus. Es ist schlicht und ergreifend nicht länger erklärbar, warum der Parteikonvent zu nichts Konstruktivem kommt – zu keinen Erörterungen von Basisanträgen, zu keiner Weichenstellung für Zukunftsthemen der SPD – weil wir nur noch damit beschäftigt sind, als eine Art Kriseninterventionsteam für die Launen der Parteiführung fungieren zu müssen. Was mir als Antwort noch bleibt, ist dies:
Am Anfang steht Selbstkritik. Es wäre unfair, alle Verantwortung bei der Parteiführung abzuladen. Die Entscheidungen auf Parteikonventen treffen letztlich wir Delegierte. Wir müssen uns mehr Eigenentscheidungen zutrauen und sie konstruktiv nutzen: Lasst uns in Zukunft über die Eindämmung von Werkverträgen und Leiharbeit diskutieren, lasst uns über Familienarbeitszeit, über Anträge aus den Gliederungen diskutieren, kurz: über Dinge, die unsere Partei nach vorne bringen!
Das heißt aber nicht, dass die Parteiführung aus der Verantwortung wäre. Wir müssen uns – ein halbes Jahr vor unserem Bundesparteitag – fragen, ob wir als Partei nicht ein Führungsproblem haben. Und wie schädlich eigentlich der Verlust von Personal ist, das die Partei ständig in Erklärungsnot bringt und ihr dann mit Rücktritt droht. Es ist legitim, bei Grundsatzfragen zu erklären, dass man unter bestimmten Umständen nicht mehr zur Verfügung steht. Man kann das ein, zwei Mal machen. Ab dem dritten Mal werden einen die Leute nur noch angähnen. Ab dem vierten Mal werden sie sagen: „Dann mach doch!“
Ich habe die Rücktrittsdrohungen ehrlich gesagt seit längerem nicht mehr mitgezählt. Aber für mich ist es das vierte Mal.