Neuordnung der Welt und Ausblick auf die Herausforderung der freiheitlich-liberalen Gesellschaft.
Ein Meinungsbeitrag/Essay von Alexander Weisenbach
Die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten: Ein Erdbeben für das politische transatlantische Establishment der freiheitlich-demokratischen Welt („the free world“), wirkte wie ein Terroranschlag auf die Denkfabrik der liberalen Freiheitsdenker, weshalb viele sogar, mit Anspielung auf den 11. September, von „11/9“ sprechen. In der Tat, die US-Wahl trifft die politische und soziale Elite empfindlich. Auf Terroranschläge ist man mittlerweile eingestellt, aber auf diesen gesellschaftlichen Mittelfinger war man nicht vorbereitet. Das war unvorstellbar.
„Aufstand der Wutbürger“, „… der Rassisten“ heißt es. Die Demoskopie dieser Wahl wird noch interpretiert, aber im Groben kann man festhalten: die Abgehängten, die zum großen Teil auf dem Land leben, weiße Männer und Frauen (!) im mittleren Alter oder älter, haben gegen das Establishment gewählt. Und in den großen Ballungszentren, in denen das Establishment wirkt, in dem es Chancen anbietet oder zumindest ein Gefühl von Teilhabe ermöglicht, bzw. in jenen Zentren, in denen die Medien maximale Strahlkraft haben, wurde das Establishment gewählt, mitunter auch aus Angst und Verachtung vor der Alternative Trump. Die Wahl war nicht „Pro Trump“ oder „Pro Clinton“. Die Wahl war „Gegen Trump“ oder „Gegen Establishment“. Die Ironie: Das Establishment hat gegen einen Milliardär verloren, der einer der größten Gewinner der Globalisierung ist, aber sich in dem Wahlkampf zur Ikone der Gerechtigkeit inszenierte.
Im Nachgang zeigt der weltweite Schock wieder einmal deutlich, welche Strahlkraft und Macht eine Präsidentschaftswahl der USA für diese Welt hat. Aus Sicht der konservativen Amerikaner und vieler Wähler konnte das Land ein beispielloses Comeback auf der Weltbühne feiern: Sie sind wieder das Land, das neue Maßstäbe setzt – “Make America Great Again“. Bloß, welche Botschaften entsendet das Land der „unbegrenzten Möglichkeiten“ für diese Welt?
Viele verbinden mit der Wahl von Donald Trump eine Wahl pro Homophobie, Xenophobie, Rassismus, eine klare Bestätigung für den Neoliberalismus und, nach Jakob Augstein, eine Niederlage für die liberal-demokratische Ordnung, wie wir sie kennen. Das ist sicherlich auch eine Seite der Medaille, der genug Aufmerksamkeit geschenkt wird. Die Empörung war weltweit groß, und mich hat diese Nachricht ebenfalls tief erschüttert und erschreckt, vor allem angesichts der Weltanschauung und des Verhaltens des Kandidaten Donald Trump, die täglich durch die Livefeeds zwitscherten.
Die Medien haben bis zum letzten Tag versucht, den Kandidaten Donald Trump mit all seinen Schwächen und verachtenswerten Charakterzügen zu vernichten. Hätte Hillary gewonnen, wäre klar gewesen: Gegen die Macht der Medien, gegen das Establishment, hat man keine Chance – das hätte nicht überrascht. Aber es kam nicht so, im Gegenteil. Ganz wie beim „legendären Kampf“ zwischen Lord Voldemort und Harry Potter ging die Vernichtung in die andere Richtung, wobei ich hier klar vermeiden möchte, Donald Trump zu heroisieren, denn seine Rhetorik war, wie bereits gesagt, erschreckend und verachtenswert, unvereinbar mit den Grundwerten der sogenannten „freien Welt“. Aber seine Wahl ist letztlich auch ein schwerer Anschlag auf die Propagandamaschine des Establishments der westlichen politischen Elite und damit auch eine große Chance für alle, die darin schon lange ein Problem sehen. Viele der freudigen Gratulanten wie Putin, Le Pen, Orban, usw. haben das sofort erkannt und freuen sich auf diese Korrektur. Und wir?
Bevor wir über neue Politikmaßnahmen sprechen, sollten wir vielleicht erst innehalten: Wie konnte es soweit kommen und was passiert sowohl in der prekären Unterschicht als auch in der sozialen und politischen Elite?
Meine drei fundamentalen Thesen hierzu:
- Die soziale Mittelschicht und auch ein großer Teil der Elite leben in einer Blase und verstehen nicht die wütenden Bürger, die sich von Ihnen abgewendet haben.
- Der Journalismus vermag es nicht, die Kernbotschaft der Wutbürger zu transportieren, weil die Journalisten mehrheitlich selbst befangen und Teil dieser Blase sind.
- Sowohl bei Globalisierungsverlierern als auch bei Globalisierungsgewinnern gibt es eine Elite. Mit der US-Wahl wird deutlich, welche Fronten sich bilden und wer auf welcher Seite steht: Der Beginn einer neuen Ordnung.
„Diejenigen, die den Anschluss verloren haben, versuchen heute nur noch, zu überleben.“
Zu dem ersten Punkt: Dazu möchte ich sagen, dass die entscheidende Vorgeschichte damit anfängt, dass es in den westlichen Industriestaaten grundsätzlich hingenommen wird, dass es Verlierer der Globalisierung gibt. Sie werden stets als Kollateralschaden behandelt, die man irgendwie noch mitziehen muss. In Punkt 3 werden wir sehen, dass dies teilweise sogar bewusst in Kauf genommen wird, aber der große etablierte Teil der Mittelschicht nimmt es einfach so hin. Man hat die Not der Verlierer irgendwie auf dem Schirm, aber Sie sind nicht mehr die zentrale Agenda der Politik. Es wird konsequent weggeschaut. Zwar gibt es einzelne Politiker, die sich klar für die Abgehängten positionieren, aber der Mainstream der politischen und sozialen Elite geht systemisch an die Probleme heran und hat die direkte Verbindung zu diesen Menschen verloren.
Das politische und soziale Establishment bezieht nur all diejenigen ein, die auch von dem derzeitigen System noch profitieren. Auch ich bin Bestandteil dieser Gesellschaftsgruppe und fühle ich mich in diese Kritik miteingeschlossen. Die gesellschaftlichen Probleme und Herausforderungen systematisch zu lösen mit der Methode des „Trickle-down-Effekts“ ist natürlich nicht unbedingt falsch und für weitsichtige Politik auch wichtig und notwendig. Das große Problem ist jedoch, und hier spielt die Kapitalismuskritik eine entscheidende Rolle, dass die Politik, getrieben von dem Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaft zu sichern, nicht fähig ist, eigene Maßstäbe und Grenzen für die Entschleunigung und Geschwindigkeit des kulturellen Wandels zu setzen, um sich so dem Diktat der Märkte entgegenzustellen.
Es wurde ein System geschaffen, in dem partikulare Interessen durchgesetzt werden können, die mit Systemrelevanz scheinbar begründet werden. Politik in dieser Form wird zu einem „Baukasten von Instrumenten“ und auf Technokratie reduziert, so dass man die realen Probleme hinter den Zahlen nicht mit Empathie, sondern mit mehr Nüchternheit und Kalkül betrachten muss. Es ist diese Draufsicht und Mentalität, die uns weltweit zu diesem politischen Zustand gebracht hat.
Um es konkret zu sagen: Viele abgehängte Menschen arbeiten in ihrer Not mehr Stunden in der Woche als Menschen in einem festen Job, um knapp zu überleben, und am Ende der Arbeit reicht es immer noch nicht für eine existenzsichernde Rente. Das ist ein fundamentaler Gegensatz zum Versprechen der freien Selbstbestimmung unserer Ordnung und treibt die Menschen stattdessen eher zu einer systematischen Abhängigkeit, die den Freiheitsrechten der liberalen Demokratie deutlich widerspricht. Susanne Neumann, die berühmte Putzfrau, die sich Sigmar Gabriel stellte, hat uns in diesem Sinne sehr klar daran erinnert, wo die Schieflage ist. Wir müssen ihr dankbar sein, dass sie bereit ist, mit uns zu diskutieren, trotz ihrer Krebserkrankung.
Hier wird zurecht gefragt: Wo ist die soziale Gerechtigkeit in unser Gesellschaft?
Die Priorisierung der gegenwärtigen Mainstreampolitik zielt darauf ab, strukturpolitische Entscheidungen voranzubringen, mit dem Ziel, neue Chancen für alle Menschen in der Gesellschaft zu schaffen. Das soll nicht selten durch Innovationen und Fortschritt gelingen, aber es führt neben dem neu eingeleiteten Strukturwandel häufig auch zu einem stärkeren Abbau von traditionellen Arbeitsplätzen. Eine immer wiederkehrende Politik, die uns zwar zu einem Kraftwerk neuer Ideen werden lässt, und den Wandel zu einer Wissensgesellschaft vorangetrieben, aber eben auch sozialpolitische Probleme eingebracht hat. Nachhaltig ist das politisch wie sozial also nur bedingt, denn dies hat die prekäre Lage vieler Menschen verschärft, die wir eben nicht ignorieren dürfen, sondern unbedingt verhindern und verändern müssen.
Nicht selten kommen auch Kommentare des hiesigen Establishments, dass alle Menschen, und somit eben auch jene Abgehängten, es selbst in der Hand haben (Selbstbestimmung), denn sie hätten genug Chancen, die angeboten werden, um aus sich etwas zu machen. Das wiederum ist ein Anspruch an Menschen, der eben auch ein Kulturschock ausgelöst hat. Plötzlich werden Menschen aus ihrer Lebensrealität gerissen und müssen sich neue Arbeitsplätze suchen (höhere Anforderung an Mobilität, Entfristung von Arbeitsverträgen), weil das die neue Gesellschaftskultur ist, um eine noch schnellere und flexiblere Volkswirtschaft zu ermöglichen. Die Menschen fühlen sich getrieben. Der Neoliberalismus nennt das: „Anreize schaffen“. Nichts Anderes haben die Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen und der Aufruf zur Leistungsgesellschaft für diese Menschen ausgelöst. Spätestens als die Abgehängten die unmittelbaren Folgen gespürt haben, staute sich der Frust auf. Viele gingen nicht mehr zur Wahl, um ihren Protest kenntlich zu machen. Diejenigen, die den Anschluss verloren haben, versuchen heute nur noch, zu überleben.
Über Jahre versuchen die Abgehängten, sich Verhör zu schaffen, versuchen Strukturen und Existenzen zu sichern und fordern immer wieder eine Korrektur Ihrer Belange, also mehr soziale Gerechtigkeit, ein. Und der Staat bzw. das Establishment einschließlich Gewerkschaften? Es verweist auf die sehr gute Entwicklung und vergleicht die guten Lebensbedingungen mit anderen Teilen der Welt. Eine Argumentation, die auch der Großteil der sozialen Elite und der Mainstream sich zu eigen machen. „Uns geht es doch vergleichsweise gut, und jeder muss aus seinem Leben das beste machen“, ist die einhellige Meinung. Das derzeitig etablierte System erzieht so den Egoismus wie von selbst, erst recht, wenn es den eigenen Erfolg der Politik vermarkten will. Schließlich müssen auch jede Stadt, jede Region und jedes Land als Standort für Wirtschaftsunternehmen entsprechend werben. Diese Marketing-Sprüche werden zu einem Mantra, zu einer immer wiederkehrenden Wahrheit, die am Ende als Faktum über allem stehen soll. Im Gegenzug schwindet die Solidarität für die Abgehängten. Empathie Fehlanzeige. Wer es sich nicht leisten kann, muss von den attraktiven Stadtgebieten mittlerweile wegziehen und sich woanders zurechtfinden. So ist es eben. Man selbst muss sich in dieser Gesellschaft durchbeißen. Wir haben so die Selbstbestimmung den Menschen entzogen und das Statusbürgertum wieder etabliert.
Und dann plötzlich kommt etwas Unerwartetes: Nach jahrelangen Renditen aus der Konjunktur kommen erst die Finanzkrise und dann der Flüchtlingsstrom. Das Establishment in Deutschland erkennt die Gefahr einer möglichen Pleite jener Banken, die mit dem immensen privaten Kapital, das über Jahre angehäuft wurde und Sinnbild für diese Leistungsgesellschaft ist, ausgestattet war. Sie zu retten wurde zur systemrelevanten Maßnahme erklärt. Die Verluste durch Spekulation der erfolgreichen Volkswirtschaften, für die auch die privaten Anleger indirekt mitverantwortlich sind (alle profitierten vom Roulette), mussten nun getragen werden von den Steuergeldern der Staaten, und somit wurden in gewisser Weise auch jene enteignet, die hart arbeiten, Ihre Steuern diszipliniert zahlten und trotzdem hinten `rausfielen. Jahrelang galt für diese Menschen: Geld für Infrastruktur ist knapp. Mit der Finanzkrise zerfiel der Traum von einem gerechten Sozialstaat. Eine Erniedrigung ohnegleichen für diese soziale Klasse und die Gewissheit einer jahrelangen Vermutung: Sie sind nicht systemrelevant.
Aber kurz darauf setzt die soziale und politische Elite im Zuge des Ausbruchs der militärischen Konflikte im Mittleren Osten noch einen drauf: Sie findet ihre Herzlichkeit, ihre Empathie bzw. ihre Barmherzigkeit wieder und bietet den Flüchtlingen, die vor Krieg und vor Leid, Schmerz und Terror fliehen, Hilfe an: Refugees Welcome. Natürlich ist dies alles ehrenwert, und diese Politik hatte eine beispiellose Symbolkraft. Diese Politik ist auch richtig und passt zum Wertekanon der freiheitliche-demokratischen Rechtsordnung. Und dennoch war sie auch nur eine Reaktion angesichts der schrecklichen Bilder, die täglich über die Bildschirme und Smartphones flimmerten. Sie war Folge der Unerträglichkeit und des schlechten Gewissens. Nein, es reichte jetzt. Da konnte man nicht mehr wegschauen.
Seitdem ist die Devise: „Die Welt ein bisschen besser machen.“ Gleichzeitig war das bei aller Barmherzigkeit die nächste Ohrfeige für die Abgehängten, denn damit wurden Sie unbeabsichtigt (!) zu Bürgern dritter Klasse degradiert. Hier zeigt sich, wie sehr man sie vergessen hatte. Ein Gefühl der Ausgrenzung, was die Emotionen hochkochen ließ und die Ohnmacht dieser Menschen in Frust überlaufen lässt.
Genau auf diesem Gefühl reitet auch die AFD die ganze Zeit herum. Die unterschiedlichsten Strömungen finden bei Ihr Zulauf. Sie bedient die Emotionen, gepaart mit einer Rhetorik, die total dem Weltbild des Establishments widerspricht, und die nicht eine sachliche Auseinandersetzung sucht, sondern die soziale Spaltung. Die AFD versucht, die abgehängten Menschen zu isolieren und sie somit gänzlich vom politischen und sozialen Establishment abzunabeln. Sie deswegen zu Rassisten zu degradieren, spielt den Rechtspopulisten in die Hände.
Die AFD geht ähnlich vor wie Donald Trump, der durch seine Faktenverdrehung ins Kreuzfeuer der Elite und des Establishment geriet. Er ging bewusst, wie auch die AFD es zuweilen tut, auf die Eingrenzung der Freiheitsrechte für Gesellschaftsgruppen ein, weil er wusste, er würde so die liberalen Demokraten provozieren und den Abgehängten eben damit zeigen, was die Elite mit voller Inbrunst bereit ist zu verteidigen. Frauenrechte, Rechte für die Queer-Bewegung, Teilhabe für Behinderte und Rechte für Migranten und Flüchtlinge, Minderheitenschutz: das sind die großen Ziele des linksliberalen Mainstream. Bei diesen Fragen steht das liberale politische und soziale Establishment reflexartig auf, und, um Missverständnisse zu vermeiden, das auch völlig zurecht. Aber für die Abgehängten stellt sich hier eben die Frage: „Und ich?“.
Dies ist der Nährboden, auf dem Rechtspopulisten wie Trump ihre Rhetorik ansetzen können. Alle schossen sich auf ihn ein. So wurde er zum Anwalt der Verlierer, und jedes Faktum, das er propagierte, konnte auch noch so falsch sein, womit er selbst auch noch offen prahlte, und trotzdem wurde er zum Anführer, weil er es wagte, Dinge auszusprechen, die das Establishment viele Jahre lang viel zu selten artikulierte. Seine Versprechen werden wohl nicht kommen und die Demokratie erschüttern. Der Beginn eines neuen Establishments mit konservativeren Werten oder die Wiedergeburt des Faschismus? Nichts ist auszuschließen. In jedem Fall gilt: Das liberale Establishment wird massiv von rechts bedroht.
Dennoch, denjenigen des Establishments, die meinen, sie könnten die Menschen mit Marketing-Programmatik locken, wurden zu Recht, soviel Raum für Selbstkritik muss sein, abgewiesen. Eins sollte jedem nun klar sein: Die Klasse der abgehängten Menschen oder der Globalisierungsverlierer haben nichts mehr zu verlieren, denn Sie haben aufgrund der oben genannten Entwicklungen bereits viel zu viel verloren, vor allem Hoffnung (Man erinnere sich an Obamas Wahlkampf 2008: „Yes we can“).
„Die Medien wähnen sich gerne in Unschuld und zeigen auf die Verantwortung der Politiker, aber Ihre Berichterstattung hat kritische Politiker bzw. auch gesellschaftskritische Debatten aktiv verhindert.“
Zum zweiten Punkt: Der Mainstream-Journalismus ist ein fester Bestandteil dieser Establishment-Blase geworden. Vielleicht steuern einzelne Akteure auch aktiv und bewusst dazu bei. Ein Großteil aber bemerkt es erschreckenderweise nicht. Die Journalisten berichten zu einseitig und unkritisch über die konsensuale Debatte im Establishment. Sie scheinen unfähig zu sein, die aus Ihrer Sicht völlig absurden Positionen und systemkritischen Meinungen auf die Tagesordnung zu bringen, ohne es gleich als Angriff auf die etablierte Ordnung zu sehen. Ein Umstand der dazu geführt hat, ist die zunehmende Vernetzung der Journalisten mit Ihren direkten Quellen aus dem politischen Apparat. Das Establishment der Medien hat sich daran gewöhnt, dieses Netzwerk zu pflegen. Es breitet sich auch hier die Kultur des Neoliberalismus aus, denn wer nicht besser vernetzt ist, kann auch nicht gut informieren.
Bezeichnend, als die Journalisten von „Monitor“ eine Frage von mir via Facebook-Live, inwiefern der heutige Journalismus auch Netzwerkpflege notwendig macht und auch Unabhängigkeit sicherstellt, mit Nüchternheit beantworteten: „Der Grat zwischen dem Verprellen des eigenen Netzwerks und einer kritischen Berichterstattung ist sehr schmal.“ Sie beteuerten aber für sich, den Anspruch einer kritischen Berichterstattung zu leben. Das ist eine Aussage, die sehr viele Interpretationen zulässt. Sie zeigt eben die Verbindungen der Medien mit der Politik, und führen immer mehr dazu, dass die Medien zu einer Propagandamaschine jener Positionen aus den politischen und sozialen Eliten verkommen.
Dabei ist die Aufgabe der Verbreitung von Meinungen auch nicht wirklich etwas Neues, denn Verlage und Druckereien waren früher oft verankerte politische Organe von Bewegungen. Nur konnte man sie damals auch eben dem zuordnen. Das ist der große Unterschied zur heutigen Verflechtung der Medienlandschaft. Man kann schwer einschätzen, von wo aus die Informationen lanciert werden und kann somit die Interessensverbindungen selten durchschauen (Forderung nach mehr Transparenz über die Eigentümerverhältnisse der Presse). Auch hier verfehlt die sogenannte 4. Gewalt ihren Auftrag.
Aber auch die Verbreitung und Vielfalt der unterschiedlichen Positionen lässt zu wünschen übrig. Zu stark kauen sie das wieder, was andere Medienanstalten wiedergeben, zu häufig gleichen sich ihre Kommentare, ihre Argumentationen, zu wenig setzen Sie sich mit der Berichterstattung der eigenen Zunft und der Kollegen in anderen Medienhäusern auseinander. Aus diesem Grund assoziieren besonders die Abgehängten damit eine indoktrinierte Gleichschaltung der Medien. Ganz von der Hand zu weisen ist das nicht. Die Beteiligten vertrauen einander, dass alle Informationen vorliegen, und es wird zu selten hinterfragt, was nicht zu hinterfragen ist. Und wir sind als Gesellschaft zu oft selbstzufrieden, obwohl die Ungerechtigkeit täglich vor unseren Augen liegt. Und gerade die derzeitige politische Realität lehrt uns, dass eben alles vorstellbar ist.
Ganz von der Hand zu weisen ist der Vorwurf einer indoktrinierten Gleichschaltung also nicht, denn auch Medien sind in diesen Zeiten immer stärker von der Marktdoktrin getrieben. Auch sie plagt die Notwendigkeit, Billiglöhne an Volontäre und Zeitungszusteller zu zahlen. Die Währungen im digitalen Zeitalter sind Klicks, Likes und Aufmerksamkeit um jeden Preis. Die Medienhäuser bemühen sich sichtlich auch um Diversität, um sich zu unterscheiden, authentisch zu bleiben. Sie wählen unterschiedlichste Formate, und wie zu guten alten Zeiten pflegt man eine Aufteilung zwischen konservativen und progressiven Medienhäusern. So wird das Streben nach Profit dem Auftrag nach Aufklärung übergeordnet. Selbst unter Journalisten ist das eine emotionale Debatte.
Durchaus wirkt es so, als könnte man einen Journalisten damit beauftragen, mal etwas aus einer bestimmten Sicht zu schreiben. Doch der Eindruck, dass die Medien zu wenig andere Positionen einbinden, die überhaupt nicht in unser Gesellschaftsbild passen, aber eben auch hierzulande existieren, bleibt bestehen. Die Folge: Die Meinung der Entmündeten, die außerhalb der Blase des Wohlstands leben – verstummt. Auf Facebook wird dies plötzlich sichtbar, und leider ging viel konstruktive Kritik unterdurch die Auseinandersetzung mit Pegida- und AFD-Anhängern und die soziale Spaltung.
Die Abgehängten werden seit jeher in die Pflicht genommen, und es wird an den Wertekanon der gesellschaftlichen Ordnung erinnert. Die Debatte verschob sich. Die Abgehängten sind nun die Rassisten, die Ausgrenzer, die Homophoben, die Ewiggestrigen. Aber diesmal finden die Menschen Zuflucht nach dieser erneuten Ohrfeige. Sie wählen zusammen die AFD, nicht weil Sie die Werte unbedingt teilen, sondern weil Sie die politische und soziale Elite samt Establishment verachten. Wie groß diese Verachtung ist, kann man oftmals unter den Botschaften bei Facebook von Heiko Maas nachlesen, der neben der Kanzlerin zu der Projektionsfläche geworden ist.
Aber zurück zu den Medien: Viele Artikel vermischen zudem Meinungsartikel mit tatsächlicher Nachrichtenberichterstattung. Das hat auch damit zu tun, dass Medien die Macht spüren, Kandidaten küren zu können. Der Springer-Verlag hat mit der Absetzung von Christian Wulff zudem auch gezeigt, dass sie Politiker ganz schnell fallen lassen können mit folgeschweren Auswirkungen für die Person, ohne Rücksicht und Respekt auf das Amt.
Die Medien wähnen sich gerne in Unschuld und zeigen auf die Verantwortung der Politiker, aber ihre Berichterstattung hat kritische Politiker bzw. auch gesellschaftskritische Debatten aktiv verhindert. Es wurde nicht thematisiert, warum das Establishment mit einem Kai Diekmann so persönlich sprechen kann. Das ist normal! Wir haben uns daran gewöhnt.
Die Aufarbeitung dieser Fehlleistungen wird kaum behandelt und thematisiert. Man wähnt sich allmächtig. Ein Beispiel: die Debatte rund um die Schuldenbremse und die Demontage eines kritischen Finanzministers eines Landes der Europäischen Union, der einfach nur einen Mittelfinger an die Austeritätspolitik entsandte. Die Allianz der Medien und Politik zermalmte in 6 Monaten eine ganze Regierung, die, legitimiert durch eine abgehängte Bevölkerung, in Griechenland gewählt wurde. Das alles nur, um sämtliche Zweifel gegenüber der Austeritätspolitik zu zertrümmern.
Hier haben alle Medien in das gleiche Horn eines Wolfgang Schäuble geblasen, als wäre er der Gott der Haushalts- und Finanzpolitik, als hätte er die ökonomische Vernunft gepachtet. Ähnliches ist auch den amerikanischen Medien vor dem Irak-Krieg widerfahren, als Sie zu wenig die Informationen von Colin Powell hinterfragten. Es zeigte sich später, dass es wenige kritische Journalisten gab, die berechtigte Zweifel frühzeitig publizierten, jedoch durch die Bank ignoriert wurden. Und so mussten die US-Medien sich eingestehen, dass sie mitverantwortlich für eine beispielslose Kriegskampagne waren. Um das Stilmittel der Übertreibung zu nutzen: Sie haben indirekt Menschenleben auf dem Gewissen. Aber sie nehmen es hin. Wir alle nehmen es hin. Genau das veranlasst die abgehängten Menschen, den Medien zu misstrauen bzw. sie auch zu ignorieren. Und das verführt Menschen dazu, sich gegenüber anderen Medien zu öffnen. Sie suchen aktiv eine Alternative! Das ist nicht Politikverdrossenheit. Das ist, wie Rechtsradikale und Rechtspopulisten es leider richtig identifiziert haben, die „Establishment-Verdrossenheit“.
Das Spiel um die Macht der Eliten beginnt von vorn – die Neuordnung dieser Welt beginnt.
Ein Blick auf die Reaktionen der politischen Elite lässt tief blicken und es lohnt auch ein zweiter Blick, um die Machtstrukturen dieser Welt zu verstehen: http://www.mdr.de/nachrichten/politik/inland/reaktionen-us-wahl-trump-sieg-100.html
Außenminister Steinmeier sagte beispielsweise wörtlich:
„Ich hoffe, dass es nicht zu größeren Verwerfungen in der internationalen Politik kommt. Wir wissen nicht, wie Donald Trump Amerika regieren wird. Aber wir haben das Ergebnis zu akzeptieren und akzeptieren es. Amerika werde jetzt wohl dazu neigen, häufiger allein zu entscheiden. Ich will nichts schönreden – nichts wird einfacher, vieles wird schwieriger. Aber das Funktionieren der transatlantischen Beziehungen ist so etwas wie das Fundament des Westens und darf nicht preisgegeben werden.“
Das Bemerkenswerte an dieser Aussage ist nicht die Rigorosität und Härte des Außenministers, der sich sogar weigerte, Trump zu gratulieren. Das Bemerkenswerte an dieser Aussage ist vielmehr, dass diese Aussage gegenüber jedem anderen amerikanischen Präsidenten ihn sehr wahrscheinlich das Amt des Außenministers gekostet hätte. In seinen Aussagen spiegeln sich tiefe Sorgen wider und sie enthalten ein klares Bekenntnis zum bestehenden politischen Fundament. Zeit für all jene, die sich dem transatlantischen Bündnis zugehörig fühlen, zusammenzuhalten.
Warum ist so eine Aussage sonderbar? Nun: Vergleicht man die Reaktionen der deutschen Presse und Elite mit den Reaktionen aus dem August 2016, als der Außenminister für mehr Vernunft im Umgang mit Russland warb, statt mit den „Säbeln zu rasseln“, waren der Aufschrei und die Kritik an ihm groß. Dem Außenminister wurde sogar der Stempel des „Antiamerikaners“ aufgesetzt. Ihm wurde gar Realitätsverlust zugeschrieben wie ein Artikel aus „Die Welt“ (https://www.welt.de/debatte/kommentare/article158369572/Realitaetsverleugnung-wird-SPD-Niedergang-nicht-aufhalten.html) eindrucksvoll belegt. Der Springer-Verlag giftete:
„Die Fixierung der SPD-Führung auf den Leitsatz, ohne Russland sei keine Sicherheit in Europa möglich – obwohl sie derzeit doch gerade durch dessen Politik in ihren Grundfesten erschüttert wird –, hat damit zu tun, dass sie ihre privilegierten Gesprächskanäle nach Russland als den letzten nicht diskreditierten Rest ihres weltanschaulichen Tafelsilbers betrachtet.“
Weiter heißt es in der Kritik an Steinmeier: „Führende Kremlkreise warteten dort nur auf aufgeschlossene Partner aus dem Westen, um mit ihnen vernünftige Auswege aus der Konfrontation zu suchen. Dabei schielt die SPD-Führung auch auf das hierzulande weitverbreitete, antiamerikanisch eingefärbte Äquidistanzdenken.“
Ein klarer Versuch, den Außenminister zu demontieren und ihm seine Glaubwürdigkeit zu entziehen. Jetzt, nachdem Steinmeier dem gewählten Präsidenten nicht mal gratulierte, gibt er ein eindeutiges Signal an die Öffentlichkeit und an die Presse, dass dieser Präsident im Establishment umstritten ist. Der Aufschrei und die Kritik – sie bleiben aus.
Was ist hier eigentlich los?
Die Kanzlerin setzt in Ihren Aussagen neue Maßstäbe in der Kommunikation mit den Amerikanern, mit denen eigentlich, wie sie oft selbst betont, „engste und unerschütterliche Verbindungen bestehen.“ Am Tag nach dem Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde, sagte sie:
„Auf der gemeinsamen Wertebasis von Demokratie, Freiheit, Respekt vor dem Recht und der Würde des Menschen unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung oder politischer Einstellung biete ich dem künftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Donald Trump, eine enge Zusammenarbeit an.“
Nie zuvor stellte ein Kanzler oder eine Kanzlerin aus Deutschland dem amerikanischen Präsidenten Bedingungen zur grundsätzlichen Zusammenarbeit. Hier sagt sie: „ich biete auf folgender Wertebasis eine enge Zusammenarbeit an“ und bezieht sich dabei klar auf den Wertekanon des transatlantischen Bündnisses. Mit dieser Aussage hat Angela Merkel klar signalisiert: „Du gehörst nicht zu uns“. In diplomatischen Kreisen des transatlantischen Establishments wird man diese Distanzierung mit Genugtuung und deutlich vernommen haben. Das war eine Kampfansage im Stillen. Damit ist klar: Die mächtigste politische Persönlichkeit in der „freien Welt“ ist zunächst erstmal Angela Merkel. Auf sie kann das transatlantische Establishment vertrauen.
Ursula von der Leyen (CDU), wie man weiß eine wichtige Machtfigur an der Seite der Kanzlerin, bringt ungefähr zum Ausdruck, wie die Gefühlswelt der weltweit etablierten Elite derzeit aussieht:
„Das war schon ein schwerer Schock, als ich gesehen habe, wohin die Entwicklung geht. Auch wenn dieser Wahlkampf getränkt war von Herabwürdigung, von Spaltung: Es ist eine demokratische, freie Wahl. Und wir müssen uns jetzt mit den Realitäten auseinandersetzen.“
Das ist eine bemerkenswerte Aussage. Dabei ist klar, es geht um eine neue Realität. Hier drückt sich nicht nur der Schock vor dem Rassismus, dem Sieg der Frustrierten aus, denn der Wahlkampf ist das Spiel zum Spiel. Nein, der Schock sitzt deutlich tiefer, denn nach dieser Wahl werden „neue Spielregeln“ oder auch „neue Realitäten“ definiert. Die transatlantische Elite wurde im Zentrum Ihrer Macht, dem Weißen Haus, getroffen. Nun werden neue Tatsachen geschaffen, neue Regeln gesetzt. Das Spiel zum Spiel wird sich verändern. Es geht plötzlich wieder darum, wie überhaupt hier gespielt wird. Ganz neue Akteure werden am Verhandlungstisch sitzen.
Wie die etablierte Elite in Europa damit umgehen wird? Die Aussagen von EU-Ratspräsident Donald Tusk und Kommissionschef Jean-Claude Juncker lassen tief blicken:
„Wir sollten keine Anstrengung scheuen, um sicherzustellen, dass die uns vereinenden Beziehungen stark und dauerhaft bleiben.“
Diese Aussage gleicht ebenfalls einer Kampfansage an jene aufstrebende Machtelite, die dem Establishment diese Weltordnung derzeitig streitig machen will. Übersetzt kann man den Satz auch so lesen: „Alle Mittel sind uns recht, um diese starken und vereinenden Beziehungen dauerhaft zu sichern.“ Mit den Beziehungen meint man das transatlantische Bündnis und eben den Einfluss über die Internationale Ordnung. Nichts anderes steht derzeit auf dem Spiel.
Teil dieser konkurrierenden Machtelite ist definitiv Wladimir Putin (vielleicht ist er sogar der Architekt), der nicht nur als einer der ersten auf den Wahlsieg von Donald Trump reagierte, sondern mit großer Wahrscheinlichkeit auch im Wahlkampf mitgewirkt hat. Das transatlantische Establishment hatte immer wieder versucht, die Öffentlichkeit darauf hinzuweisen, mit der erschreckenden Erkenntnis, dass diese Angst nicht gezogen hatte. Auch aus diesem Grund entzog die Bush-Familie als Teil des republikanischen Establishments ihre Unterstützung, und unterstützte die Demokraten, als Sie hörten, dass man in Sicherheitskreisen zu der Erkenntnis gekommen war, dass Putin für die Wikileaks-Veröffentlichungen verantwortlich sei. Die Gefahr war sichtbar. Das ausgerechnet ein FBI-Chef die Emailgeschichte nach plötzlichem Auftauchen neuer und brisanter Information durch die Plattform Wikileaks veröffentlichte, ist wahrscheinlich dem nicht leicht zu kontrollierenden System anzukreiden. Es waren diese letzten Wochen, die viele potenzielle Wähler von Hillary Clinton demotivierten, an der Wahl teilzunehmen.
Daher hat Hillary Clinton im Nachhinein, auch deshalb, die Emails als entscheidende Ursache für Ihre Niederlage gesehen. Sie ging kaum ein auf den Umstand der Armut der „Rust Belts“, weil sie vor allem der Veröffentlichung der Emails die Schuld an ihrer Wahlniederlage gab, zumal ihr die Umfragen ein paar Wochen zuvor einen Sieg garantiert hatten. Das Establishment ist getroffen. Die Aussagen von Hillary Clinton sind auch ein klarer Hinweis darauf, wer ihr eigentlicher Feind in diesem Wahlkampf war. Wladimir Putin sagte mit voller Genugtuung:
„Ich hoffe auf eine gemeinsame Arbeit, um den gegenwärtigen kritischen Zustand der Beziehungen zwischen den USA und Russland zu beenden. Es ist im Interesse beider Länder und der ganzen Welt, einen konstruktiven Dialog aufzubauen.“
Putin sagte nicht, er wünsche viel Erfolg und bessere Beziehungen mit dem neuen Präsidenten. Nein, Putin hofft gar auf eine „gemeinsame Arbeit“ (eine Allianz) und sieht sogar die Möglichkeit, dass der „kritische Zustand der Beziehungen zwischen den USA und Russland“ beendet werden könne. Das, so Putin, seit „im Interesse beider Länder und der ganzen Welt“. Diese Aussage von einem Mann, der spätestens seit 2000 das Zentrum der Macht von Russland lenkt und maßgeblich mitbestimmt.
Der Hinweis auf das „Interesse der ganzen Welt“ wird in der hiesigen Presse wenig thematisiert. Hierzu muss man vielleicht tiefer folgender Frage nachgehen: Wann ist es eigentlich zum Bruch zwischen dem Establishment der westlichen Welt und der Russen um Wladimir Putin gekommen?
Der Bruch zwischen Putin und dem Westen wird in jedem Fall nach der Finanzkrise eindeutiger erkennbar, als Russland und Wladimir Putin mit den Folgen der Finanzkrise allein gelassen wurden (http://www.spiegel.de/wirtschaft/folgen-der-finanzkrise-russlands-wirtschaft-geraet-in-den-abwaertssog-a-590914.html). Hier haben vor allem auch reiche Persönlichkeiten rund um die traditionelle Energiewirtschaft Geld verloren. Was folgte, war in diesem Zusammenhang auch eine Umorientierung der Finanzwelt. Es wurde massiv in die moderne, erneuerbare Energiewirtschaft investiert. Zudem hat die Innovation der Fracking-Industrie, der traditionellen Energiewirtschaft jenseits der transatlantischen Elite, viele Gewinne gekostet. Der Erdölpreis erlebte seitdem eine bemerkenswerte Talfahrt. Viele aus der Wirtschaftselite sahen hier neue Chancen. Es ist zu bezweifeln, dass die Verlierer diesen Kampf wehrlos hinnahmen, im Gegenteil. Gesucht wurden Allianzen, die zumindest den Trend einer Transformation der Energiewirtschaft verlangsamen. Es ist gut vorstellbar, dass die russischen Oligarchen hier viel Geld verloren haben.
In der Phase nach der Finanzkrise bietet Putin den Europäern die Vision an, eine freie Wirtschaftszone zwischen Russland und Europa einzuführen. Für dieses Angebot gibt es in Europa offenbar keine einflussreiche Elite oder politische Unterstützung. Ziel: Ein Freihandelsabkommen mit Aussicht auf eine umfangreiche Integration der Märkte. Diese Vision hätte ein Meilenstein für das weitere Zusammenleben zwischen den Kulturen in Europa bedeuten können. So jedenfalls verpackte es das russische Establishment (http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/von-lissabon-bis-wladiwostok-putin-traeumt-vom-gemeinsamen-markt-mit-der-eu-a-731063.html). Der letzte Versuch einer Charmeoffensive an das progressive Europa vor dem Bruch.
Vielleicht geht es aber noch weiter zurück. In der Zeit rund um den 11. September 2001, beim Afghanistan-Einsatz und beim Irak-Krieg müssen beim transatlantischen Establishment die Alarmglocken geläutet haben. Vor dem Irak-Krieg bildete Wladimir Putin eine Koalition, zusammen mit Frankreich und Deutschland – man war nicht gewillt, den Ausführungen des Weißen Hauses zu folgen und in den Irak-Krieg zu ziehen. Sie wagten den Widerstand. Mehr als das: die engen Verbindungen zwischen Gerhard Schröder und Wladimir Putin haben auch die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Europa und Russland gestärkt. Die Verflechtungen der Wirtschaftselite sind an diesem Punkt schwierig zu durchschauen und durchaus eine eigene Analyse wert.
2004, keine zwei Jahre später, kam es in der Ukraine zu der „Orangenen Revolution“. Ein Warnsignal an das Dreier-Bündnis (Chirac, Schröder, Putin) zu der Zeit, vor allem aber an Wladimir Putin. Der Beginn eines Kampfes um den Einfluss zwischen den Establishments an beiden Fronten um die Hoheit in der Ukraine. Die Ukraine ist ein Land mit wichtigen Erdöl- und Erdgasaufkommen. Jede etablierte Wirtschaftselite dieser Welt dürfte an Ihr interessiert sein, und sie stand seinerzeit eher unter dem Einfluss von Russland, wenngleich sie sich immer mehr dem Westen annäherte. Wie wir heute wissen, wird die Ukraine von Putin geopolitisch und strategisch als Bestandteil eines Großrusslands verstanden, einer Idee, die er nicht aufgegeben hat.
Vielleicht reicht diese Ruptur auch bis zum Einsturz der UDSSR, eingeleitet durch Reagan, ein US-Präsident, der, ähnlich wie Trump, ein außenstehender Kandidat war, und mit den Sätzen „Mr. Gobartschow, turn down this wall“ das Gespenst der russischen Elite gewesen sein musste – vollendet dann von George Bush Sr. Bush, jene Familie, die dem Wahlkampf von Trump die Unterstützung entzog und nicht einmal am Parteitag teilnahm, als Trump offiziell zum Kandidaten der Republikaner gekürt wurde. Sind wir also Zeugen eines späten Rachefeldzuges der russischen Elite?
Spätestens in den Jahren nach der Finanzkrise muss Putin klargeworden sein, dass er eigentlich nie wirklich zum transatlantischen Establishment dazu gehören würde.
Die Chronologie der vergangenen Jahrzehnte lässt vieles vermuten, und das gilt es von der kritischen Öffentlichkeit aufzuarbeiten, um das Spiel zwischen den Eliten zu durchschauen.
Die letzte Charmeoffensive aus dem Jahr 2011 von Putin war ein erneuter Angriff auf die Wirtschaftselite des transatlantischen Establishments. Ihr Erscheinungsbild war in den Jahren um die Finanzkrise miserabel. Der amerikanischen Politik vertrauten die Massen nicht mehr. Besonders mit Rückblick auf die militärischen Interventionen und eben der Finanzkrise galt es, die Außendarstellung zu verbessern. Mit Barack Obama hatte man das Glück, die personifizierte Außendarstellung der „Free World“ weltweit vermarkten zu können. Obama war für die Wirtschaftseliten bis zum Schluss eine positive PR-Kampagne des etablierten amerikanischen Lebensstils. Die Liebe der Massen zu Barack Obama gleicht in diesem Kontext einer Lebensversicherung für das Establishment in den letzten Jahren.
Selbst in den letzten Monaten vor der Wahl wollte man diesen Effekt nutzen. In den Jahren während seiner Präsidentschaft wurde diese Beliebtheit genutzt, um der Charmeoffensive aus Russland etwas entgegenzustellen. Mit Hilfe von Verbündeten im Herzen Europas sollte das transatlantische Bündnis nachhaltig stabilisiert werden. Hierzu gehört unverkennbar die Kanzlerin, und bezeichnenderweise verlieh man Ihr Ende April 2011 die Friedensmedaille. Ein Signal mit Symbolkraft, an die Bündnisse des transatlantischen Establishments und eben auch an die „Anderen“ gerichtet. Spätestens seitdem ist auch klar, Angela Merkel ist etabliertes Mitglied des transatlantischen Establishments, was nicht verwundert, denn die Bündnisse der CDU mit den Amerikanern sind historisch tief verwurzelt.
Kurze Zeit später wurde am 28. November 2011 auf dem transatlantischen Gipfeltreffen (Merkel hatte viele Gipfel) das Freihandelsabkommen TTIP geboren. (http://www.dihk.de/themenfelder/international/aussenwirtschaftspolitik-recht/handelspolitik/ttip/faq-ttip/woher-kam-die-idee-zu-ttip). Ein Schreiben am 17. November 2011 über den Inhalt des Gipfels ging dem Beschluss voraus. Kurz darauf kam aus der Ukraine entsprechend eine Reaktion am 24.11.2011 (http://www.bpb.de/internationales/europa/ukraine/137814/chronik-des-assoziierungsabkommen). In der Chronik des BPB zum Ukraine-Konflikt schreibt man hierzu vielsagend:
„In ukrainischen Medien taucht die Nachricht auf, Präsident Wiktor Janukowytsch werde am 19.12. 2011 nach Moskau zu einer Sitzung der Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft reisen. Für diesen Tag war bisher ein Treffen zum Assoziierungsabkommen mit der EU vorgesehen. Janukowytsch erklärt daraufhin, er werde da sein, wo es nötig sei. Fünf Tage später gibt das Außenministerium bekannt, dass die Verhandlungen mit der EU beim Präsidenten fest eingeplant sind.“
Ein Indiz dafür, wie brisant das EU-Assozierungsabkommen im Machtkampf zwischen den Machtmonopolen zu dieser Zeit bereits war.
In dieser Phase war der Kampf um die Ukraine schon 8 Jahre alt und voll im Gange. Am 5. März 2012 heißt es:
„In einem Beitrag in der `International Herald Tribune` beschuldigen Guido Westerwelle und vier weitere Außenminister europäischer Länder die ukrainische Führung, den Prozess der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und der Ukraine in die Sackgasse geführt zu haben. Die Verhandlungen seien im Dezember 2011 zwar erfolgreich abgeschlossen worden, die Entwicklungen der letzten zwei Jahre in der Ukraine würden die Ratifizierung jedoch verhindern. Am gleichen Tag bestätigen laut ukrainischem Außenministerium dessen Minister Konstjantyn Hryschtschenko und Vertreter der EU in Prag, das Abkommen bis Ende März 2012 unterzeichnen zu wollen.“
Es ist der Beginn einer Demontage des russischen Einflussbereichs. Die Ukraine sollte europäisch, transatlantisch werden. Großrussland drohte Putin zu entgleiten. Der Konflikt zwischen Russland und der EU verschärfte die Beziehungen. Die Aushebelung der Machtstrukturen in der Ukraine sind eine klare Botschaft. Indem man Russland den Einfluss auf die Ukraine streitig machte, kam es zum endgültigen Bruch. Bis heute ist nicht eindeutig geklärt, wie es zu den vielen Toten am Tag der „Unabhängigkeit der Ukraine“ kam bzw. wer dafür verantwortlich ist.
Die Invasion durch Russland war die entsprechende Reaktion mit offenen Visier. Das transatlantische Establishment hatte unterschätzt, welche Gegenreaktion diese Demütigung von Putin hervorrufen würde. Seit dem Ukraine-Konflikt wird Putin medial zur Persona Non Grata erklärt und seitdem sind die Spannungen zwischen den Fronten überdeutlich. Aber im Eifer, die kleinen Skandale aufzudecken, vermögen es unsere Medien kaum, den Konflikt hinter den Kulissen zu sehen und hier objektiv und umfassend zu recherchieren und zu berichten. Wir leben in einer neoliberalen Luftblase, der „freien Welt“.
Im Ukraine-Konflikt zeigt Putin dieser transatlantischen Elite in brutaler und schonungsloser Weise, wie mächtig er ist und dass er auch bereit ist, über Leichen zu gehen. Seitdem ist er in Kreisen der transatlantischen Eliten das Feindbild Nr.1. Dazu passt dann auch die verheerende Gemengelage im Mittleren Osten.
Der arabische Frühling 2011, Obama redete gerne von „Cyberkrieg“, der Libyen-Krieg, der Syrien-Krieg und dann die Eroberung des Irak durch den IS. Die wirren Verflechtungen der Machtverhältnisse in jeden dieser Länder zeigen einen beispiellosen Kampf um den Einfluss in diesen Gebieten. Das Establishment um Putin muss hier bereits erkannt haben, welche geopolitische Herausforderung eine Flüchtlingswelle für die Europäische Union bedeuten könnte. Es fällt zudem auf, wie stark die Rhetorik von Russland und Erdogan immer stärker auf den Kampf der Kulturen setzt, wobei dieser Kampf den Zwecken des aufstrebenden Establishment dient (jenes, das seit der Finanzkrise zunehmend an Boden verloren hatte).
Dazu gehören wahrscheinlich vor allem Familien und Personen aus dem Kreis der traditionellen Energiewirtschaft. Nach der Finanzkrise suchte man sichere Anleihen mit hohen Renditen. Neben dem weltweiten Immobilienmarkt war der Markt der Erneuerbaren Energien sehr attraktiv, da in vielen Ländern die Investments gut abgesichert waren. Seitdem wird die Transformation der Energiewirtschaft nicht nur Co-finanziert, sondern aktiv vorangetrieben. Der Machtverlust der traditionellen Elite setzt sich hier fort.
Mit ihren scharfen Erklärungen Richtung Russland und der klaren Aussprache für eine Energiepolitik auf Basis einer Energiewirtschaft der Erneuerbaren Energien und mit der Unterzeichnung des Pariser Klimavertrags hat Hillary Clinton offen dieser traditionellen Elite den Krieg erklärt. Ein Frontalangriff. Die Präsidentschaftswahl wurde so für die Etablierten zu einer Gefahr.
Die Frage jetzt ist: Wieviel wusste Trump?
Trump bewegt sich hier zwischen zwei Welten. Er hat persönliche Beleidigungen aus der etablierten Elite hinnehmen müssen, weshalb Trump definitiv eher nicht als Teil dieser Elite einzuordnen ist. Ein Schlag ins Gesicht für den eitlen Show-Business-Man. Sichtbar wird das, als das politische Establishment versucht, Donald Trump zu verhindern. Wie sonst kommt ein Billy Bush (Familienmitglied des mächtigsten Familienclans der Republikaner) auf die Idee, das bekannte Audio, in dem das abstoßende Frauenbild von Trump offenbart wird, der Öffentlichkeit zu übergeben? Wieso passierte das genau zu diesem Zeitpunkt? Warum waren die Bushs bei der Kandidatenkür von Donald Trump nicht anwesend? Die Distanzierung des republikanischen Establishments bekommt auch eine neue Dimension, wenn man bedenkt, dass die CIA und wichtige Offiziere im Bereich der National Security Donald Trump die Kompetenz absprachen. Hier hatte Donald Trump es mit der vollen Wucht des Establishments zu tun, was er und insbesondere sein Wahlkampfmanager Steven Bannon wiederum geschickt für die Stilisierung der Kandidatur als Anti-Establishment zu nutzen wussten. Es bleibt abzuwarten, was uns mit Donald Trump erwartet und welche Allianzen hier zusammenkommen.
In jedem Fall werden wir derzeit Zeuge der Bildung zweier Fronten, die es so vorher nicht gab und, anders als je zuvor, nicht bloß in geopolitische Länder geteilt werden können, da sie sich global vernetzen und bewegen. Aus diesem Grund gewinnt auch die Aufrüstung der Geheimdienste wieder zunehmend an Bedeutung. Heute können wir mit Bezug auf die Finanzkrise festhalten: Auf der einen Seite ist die Elite der Globalisierungsgewinner und auf der anderen Seite die Elite der Globalisierungsverlierer. Mit großer Wahrscheinlichkeit werden wir in den nächsten Jahren die Protagonisten und Akteure dieser Fronten deutlicher identifizieren können. Darauf sollte sich die Berichterstattung jedenfalls konzentrieren und die Verschärfung der Gefahren, die für Völkerverständigung und Weltfrieden da sind, öffentlich machen.
Uns sollte, mehr denn je, bewußt werden, daß das liberale Establishment (dazu gehört auch Barack Obama) mit Hilfe einer neoliberalen Wirtschaftspolitik die Weltordnung kontrollieren und den Weltmarkt bestimmen wollte. Unter dem Label der Freiheitswerte der westlichen Welt wurden geostrategische und ökonomische Interessen zunehmend in der Welt verbreitet und durchgesetzt. Das sorgte für die Elite für einen beispiellosen Reichtum, wobei man dann aber nicht bereit war, ihn solidarisch zu teilen, sondern ihn in „Steueroasen“ verfrachtete. Die Freiheitswerte unseres Rechtsstaats, die universellen Menschenrechte, sie werden mißbraucht und sind lediglich Mittel zum Zweck einer Machtausbreitung.
Die aufstrebende Elite will eine Abkehr von der neoliberalen Ordnung und sucht eine binnenorientierte Investitionspolitik. Traditionelle Eliten, die viel Macht und Geld in ihren Nationen verloren haben, werden sich vermutlich zunächst bemühen, ihre Binnenmärkte zu stärken. Für die abgehängten Menschen würde dies eine Chance sein, da es eine neue Binnenkonjunktur in den einzelnen Ländern schaffen würde. Gleichzeitig stehen aber auch unsere Werte auf dem Spiel, wenn die Bevölkerung hier nicht wieder einen Grundkonsens über die Werte sucht. Wir, die kritischen Kräfte, vor allem die bei den Sozialdemokraten, müssen mehr denn je wieder zusammen finden, um unsere Demokratien zu stärken. Auf die Eliten und auf das Establishment, das hat die Trump-Wahl gezeigt, können wir uns nicht mehr verlassen.
Die Welt wird derzeit neu geordnet, aber nicht zum Guten; keiner weiß genau wohin, und wie die Konflikte zukünftig ausgetragen werden.