Von Jörn Hendrichs
Am 22. September ist Bundestagswahl und das Ziel der SPD ist die Ablösung von Schwarz-Gelb. Eine rot-grüne Koalition -so lässt sich allenthalben hören- sei dabei das Wunschziel. Schließlich sei hier die programmatische Schnittmenge am größten und die ideologischen Unterschiede die kleinsten. Andere Konstellationen werden bestenfalls als rein theoretische Möglichkeit betrachtet, meist jedoch von vornherein kategorisch ausgeschlossen. Nicht nur vom Spitzenkandidaten und der Parteiführung, sondern auch von weiten Teilen der Basis. Dieses Phänomen ist auch bekannt unter der Bezeichnung „Ausschließeritis“ mit all seinen Problemen (siehe Hessen 2008). Auch eine Neuauflage der großen Koalition scheint in der SPD momentan ähnlich populär wie Mückenstiche und Sonnenbrand gleichzeitig. Zu groß die Angst, als potenzieller kleiner Koalitionspartner von Angela Merkel klein gehalten zu werden und die Eskapaden Horts Seehofers als inoffiziellem dritten Partner mit rechtfertigen zu müssen. Zu klein die Schnittmenge der beiden Programme, inklusive des konservativen Weltbildes vieler Mitglieder der CDU/CSU.
Glaubt man aktuellen Umfragen ist der Ausgang der Wahl derzeit noch ungewiss, unbeachtet der rational kaum erklärbaren, hohen Popularität der Kanzlerin in der Bevölkerung. Auch wenn scheinbar alles an Angela Merkel abprallt, ist in den verbleibenden Wochen aber noch genügend Zeit diesen Vorsprung aufzuholen. In jedem Fall gilt es wohl als sicher, dass CDU und SPD wie in jeder Bundestagswahl der Nachkriegszeit als die zwei stärksten politischen Kräfte bestätigt werden (Alles andere wäre eine mittelschwere Sensation). In dieser Rolle kommt den beiden Parteien auch die Aufgabe der Initiative bei der Regierungsbildung zu, sei es nun als große Koalition oder mit ein oder zwei kleineren Partnern. Erstere wird aber von vielen innerhalb und außerhalb als mindestens zweitschlechteste Möglichkeit gleich nach weiteren vier Jahren schwarz-gelb angesehen, sowohl aus inhaltlichen sowie von vielen Genossinnen und Genossen mit Blick auf die übernächsten Wahlen auch aus taktischen Gründen.
Man denke sich aber nun folgendes Szenario: Der Wähler als unberechenbares Wesen hat entschieden, dass es weder für rot-grün noch für schwarz-gelb reicht. Mit der Möglichkeit einer wie auch immer gearteten Dreierkonstellation wollen wir uns an dieser Stelle nicht beschäftigen, nein, hier wollen wir an einigen beispielhaften Punkten einmal das (für viele undenkbare) Szenario einer Neuauflage der großen Koalition durchdenken. Würde dies wirklich weitere vier Jahre Stillstand bedeuten? Was ist mit dieser CDU machbar und was nicht? Anhand von fünf zentralen Forderungen aus unserem Wahlprogramm wollen wir die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit mit der CDU zumindest einmal durchspielen:
Mindestlohn
Der Mindestlohn ist eines der programmatischen Kernaussagen der SPD. In ihrem eigenen Wahlprogramm fordert auch die CDU bereits branchenbezogene Mindestlöhne, der Schritt zu einer flächendeckenden Einführung wäre nicht mehr weit. Einzelne CDU-Gruppierungen fordern dies bereits seit Jahren und würde dies auch wieder vorantreiben, ganz zu schweigen von der breiten Unterstützung aus der Bevölkerung. Fazit: In Koalitionsverhandlungen mit hoher Wahrscheinlichkeit durchsetzbar.
Bürgerversicherung
Die CDU hat sich in ihrem Wahlprogramm zur privaten Krankenversicherung bekannt und hat sich in den letzten Jahren nicht gerade durch eine gerechte Gesundheitspolitik bemerkbar gemacht. Die Einführung einer Bürgerversicherung wäre ein politisches und verwaltungstechnisches Großprojekt. Um dies zu beschließen und umzusetzen bräuchte man breite Mehrheiten in beiden Regierungsparteien, in der CDU ist dies nicht sichtbar. Fazit: Die Einführung einer Bürgerversicherung würde vermutlich sogar die ideologische Flexibilität Angela Merkels überfordern. Von ein paar kosmetischen Änderungen abgesehen gäbe es wohl keine Einigung.
Steuern
Die Schallplatte der Steuersenkungsforderungen wurde in den vergangenen Jahren gefühlt zu 90% von der FDP abgespielt. In der aktuellen Legislaturperiode hat die CDU diese Ideen abgesehen von Steuergeschenken an Hoteliers weitestgehend ignoriert, so viel sei Frau Merkel auch zugestanden. Angesichts von immer mehr bekannt gewordenen Fällen von Steuerhinterziehungen kann sich auch die CDU den Forderungen nach mehr Steuergerechtigkeit nicht verschließen. Inwiefern sich die SPD mit ihrem Steuerkonzept durchsetzen kann, ist jedoch schwer zu beurteilen. Fazit: Für eine Steuerreform stünde die CDU sicher zur Verfügung, einzelne Steuererhöhungen ließen sich dabei vermutlich erreichen. In jedem Fall wäre dies den aktuellen Vorstellungen der FDP vorzuziehen.
Familienpolitik
Neueste Zahlen zeigen: Das Betreuungsgeld ist ein Reinfall. In einzelnen Bundesländern gab es bis dato nicht einen einzigen Antrag auf Auszahlung, auch innerhalb der CDU/CSU war die „Herdprämie“ hoch umstritten. Mit der Forderung, dieses Geld statt dessen gezielt in den Kitaausbau zu investieren, stünde die SPD in Koalitionsverhandlungen nicht alleine da. Auch CDU-regierte Länder und Kommunen müssen den Rechtsanspruch auf Betreuung umsetzen, Zuschüssen aus dem Bundeshaushalt stünde man sicher offen gegenüber. Fazit: Gute Chancen auf Durchsetzung der SPD-Forderungen.
Ausländerrecht
Das deutsche Ausländerrecht ist kompliziert, veraltet und mit teils unzumutbaren Regelungen gespickt. Spätestens seit der von Roland Koch initiierten Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft besitzt dieses Thema innerhalb der CDU hohe Symbolkraft. Grundlegende Änderungen sind hier innerhalb der nächsten Jahre nicht zu erwarten, bestenfalls könnte die SPD in Koalitionsverhandlungen einzelne Verbesserungen erreichen, etwa im Asylrecht. Fazit: Die doppelte Staatsbürgerschaft wäre mit der CDU nicht zu machen. Kleinere Reformen wären abhängig vom Verhandlungsgeschick der Genossinnen und Genossen in Berlin.
Nochmals: Dieser Beitrag soll keineswegs ein bedingungsloses Plädoyer für eine große Koalition sein. Inhaltlich und personell ist die CDU eine leere Hülle, degradiert zum Kanzlerwahlverein von und für Frau Merkel. Diese inhaltliche Leere kann für einen potenziellen Koalitionspartner aber nützlich sein wenn dieser es schafft, seine Themen geschickt zu platzieren. Will meinen: Lieber noch mal vier Jahre Merkel und dafür einen Mindestlohn als noch mal vier Jahre Merkel und keinen Mindestlohn. Sofern tatsächlich die Chance besteht, wesentliche Punkte unseres Wahlprogramms umzusetzen, gehören parteiinterne, taktische Kalküls hinten angestellt. Es wäre die Aufgabe der Genossinnen und Genossen in Berlin, unsere politischen Leistungen deutlich hervorzuheben und nicht wieder alle Lorbeeren Angela Merkel zufallen zu lassen. Den Millionen Menschen im Niedriglohnsektor sind solche taktischen Überlegungen ohnehin egal. Ein Arbeitslohn der diesen Namen auch verdient hingegen nicht.