Falk Wagner (31) wurde kürzlich auf dem Parteitag der SPD Bremen-Stadt als Vorsitzender bestätigt. Im Interview spricht er über die Pläne der Bremer SPD, die CDU ohne Merkel und die Besonderheiten eines Parteitages in der Corona-Pandemie.
Hallo Falk, du bist gerade erneut zum SPD-Vorsitzenden in Bremen gewählt worden. Herzlichen Glückwunsch. Was ist dein wichtigstes Projekt für die nächste Amtszeit?
Vielen Dank, und um gleich zur Sache zu kommen, das wichtigste Projekt habe ich mir nicht ausgesucht: Im kommenden Jahr werden wir alle gemeinsam den Sozialstaat verteidigen müssen und ich glaube, das ist noch nicht allen bewusst. In der Corona-Krise erleben wir gerade, welche immense Bedeutung ein vernünftiger Sozialstaat hat. Wir sehen die Lage der Beschäftigten in Deutschland, wo dank der SPD soziale Konjunkturpolitik gemacht wird und das wirtschaftliche Elend in den USA, wo ein vernünftiger Sozialstaat fehlt. Aber pünktlich zur Bundestagswahl werden sich die Rücklagen der Sozialkassen leeren. Dann werden diejenigen, die Politik für die oberen 10 % machen, propagieren, den Sozialstaat könnten „wir“ uns nicht mehr leisten.
Wir werden es dabei mit einer CDU ohne Merkel aber mit Marktradikalen wie Merz, Söder oder Linnemann zu tun haben.
Linnemann hat jüngst gegen die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes als „sozialistischen Irrweg“ gepoltert. Wenn längeres Kurzarbeitergeld in der Corona-Krise für die schon „Sozialismus“ ist, will ich deren Kapitalismus nicht kennenlernen. Ich will, dass die SPD Garant dafür ist, dass wir deren Kapitalismus auch nicht kennen lernen müssen. Im Gegenteil, in ganz Europa braucht es einen aktiveren Staat, der Herausforderungen angeht: lebenslange Qualifizierung, ökologischer Umbau der Industrie, Sicherung der jetzt noch jüngeren Generationen gegen Altersarmut. Die SPD muss diese klare Programmalternative sein. Wir müssen gemeinsam genug Menschen rechtzeitig wachrütteln, damit klar wird: die Bundestagswahl wird eine Richtungswahl.
Gibt es daneben auch ein übergeordnetes Motto für die nächsten beiden Jahre? Wonach strebt die SPD Bremen?
Wir wollen „Bremen bewegen. Stark und Sozial.“ Das heißt, wir wollen Transmissionsriemen gesellschaftlicher Fragen unserer Stadt sein: einerseits die SPD als Ort, an dem engagierte Menschen gesellschaftliche Fragen diskutieren und Pläne für ein besseres Bremen schmieden. Andererseits die SPD als Akteur, der die Vorhaben politisch vorantreibt und umsetzt. Und zwar so, wie Kommunalpolitik funktioniert: Stück für Stück, aber sichtbar für alle im Alltag.
Ein Beispiel: diesen Sommer konnten erstmals dank der SPD in Bremen alle unter 16 Jahren für 1 € ins Freibad. Und Bremen-Pass-berechtigte Kinder können ab Januar umsonst Bus und Bahn fahren. Wir sind aber mit diesen Projekten noch nicht fertig. Wir wollen den einen Euro auch für die Hallenbäder, und die BSAG umsonst für alle Kinder und Jugendlichen. Weil es das Leben von Familien mit weniger Geld in dieser Stadt leichter macht und Kinder und Jugendliche mehr teilhaben lässt. Diese beiden Projekte sind exemplarisch. Ich bin mir sicher, jede*r Juso, eigentlich jeder junge Mensch, hat eine gesellschaftliche Frage aus dem Bereich Bildungsgerechtigkeit, Mobilität oder bezahlbare Stadt im Kopf. Lasst sie uns bewegen und Stück für Stück voranbringen.
Der Parteitag sollte eigentlich im Frühjahr stattfinden, ist aber wegen Corona verschoben worden. Corona ist jetzt noch immer nicht durch, getagt wurde trotzdem, allerdings mit Abstand und Hygienekonzept. Wie war es einen Parteitag in so einer Form abzuhalten?
Es macht schon deutlich weniger Spaß. In großen Abständen gibt es weniger Stimmung, wir mussten interessierte Parteimitglieder bitten, zuhause zu bleiben, selbst den Bürgermeister. Aber wir haben es nun endlich geschafft, die Wahlen durchzuführen, was digital nicht zulässig war. Und wir haben auch neue Experimente gewagt, wie eine digitale Antragsberatung im Vorfeld, um den Parteitag zu verkürzen. Das hat gut geklappt. Letztlich hat sich gezeigt: wenn alle auf Rücksichtnahme und Disziplin bei der Einhaltung der Hygienemaßnahmen achten, ist vieles möglich. Jetzt heißt es aber wieder: Geduld haben, jedenfalls, bis wir einen Parteitag mit „Stimmung in der Bude“ erleben können. Bis dahin werden wir auch die kommenden Monate viel digital anbieten müssen.
Neben den Wahlen wurden auf dem Parteitag auch zahlreiche Anträge behandelt. Was waren für dich die wichtigsten Ergebnisse?
Erstens: die SPD hat einstimmig ein Konzept zur Zukunft der Bremer Innenstadt verabschiedet. Die Innenstädte sind spätestens seit Corona allerorten in der Krise. Auch für Bremen wird es noch ein mühsamer Weg. Aber wir haben mit der Innenstadt „to stay“ einen mutigen Plan. Zweitens: der Parteitag hat ein umfassendes Klimaschutz-Papier verabschiedet. Wir haben einen tollen AK Klima und Umwelt, in dem sich die Mitarbeit unbedingt lohnt. Drittens: mit einem Initiativantrag der Jusos hat sich der Parteitag gegen die unheilvolle Kombination aus Rechtsextremen, Verschwörungsideolog*innen und verwirrten Esoteriker*innen gestellt und sich für eine klare Abgrenzung ausgesprochen. „Gut, dass es die Jusos gibt“, hat die Leiterin des Parteitagspräsidiums gesagt. Ich finde, da hat sie recht.
Zur Person:
Falk Wagner (31) ist seit 2018 ist er Vorsitzendes des Unterbezirkes Bremen der SPD. Im Mai 2019 wurde er in die Bremische Bürgerschaft gewählt.
Vorher war er Juso Vorsitzender in Bremen-Stadt und Landesvorsitzender in Bremen.
Für einen humorvollen Antrag der Jusos zu Pizza-Bestellungen hat der Vorstand „Humorlose Ablehnung“ empfohlen. Ist auf SPD-Parteitagen kein Platz für kleine Späße?
Ich fand die Beschlussempfehlung sehr humorvoll. Ihr etwa nicht?
Im Ernst: Der Antrag war humorvoll und hat ja auch seinen Platz auf dem Parteitag bekommen. Letztliche Beschlüsse der SPD zum Thema Lieferservices sollten für meinen Geschmack aber ernsthaft genug sein, die unverschämte Ausbeutung des Liefer-Proletariats zu adressieren.
Du bist mit deinen 31 Jahren sicherlich noch einer der Jüngeren in der SPD und trotzdem schon in einer verantwortungsvollen Rolle. Wie ist es als junger Mensch Verantwortung zu übernehmen und wirst du überhaupt von allen ernst genommen?
Es macht sehr viel Spaß, ich möchte es keinen Moment missen, meine Stadt mitgestalten zu dürfen. Na klar muss man sich ein gewisses Standing erst mal erarbeiten, aber Arbeitsscheu sind wir Sozis ja nicht. Etwas anspruchsvoller ist es außerhalb der SPD: Als Abgeordneter habe ich auch schon mal Termine, zu denen ich komme und begrüßt werde mit den Worten: „Sie sind wohl der Mitarbeiter, wie schön, aber kommt Herr Wagner noch?“. Das finde ich dann eher lustig und den Beteiligten ist es später irre peinlich. Der Anlauf ist also manchmal etwas länger, aber es freuen sich eben auch sehr viele, wenn sich junge Menschen engagieren.
Und ich bin ja nicht alleine, sondern Teil eines Trends: ich wurde mit 28 Jahren Vorsitzender der SPD Bremen-Stadt, aber gleichzeitig wurde der halbe Vorstand mit Menschen unter 35 besetzt. Anfang-20-jährige werden in Bremen immer häufiger Ortsvereinsvorsitzende. Ich glaube auch, dass das Beispiel Kevin Kühnert viele motiviert.
Eine große Einschränkung will ich aber nicht verschweigen: ich bin aber nun mal ein Mann und erlebe, wie Frauen in Führungspositionen von Herrschaften über den Mund gefahren wird, die sich das bei mir nicht trauen würden – selbst wenn die Frauen älter sind als ich, beruflich gestandener oder in höherer Position. Wer behauptet, Frauenförderung sei abgehakt, muss schon ziemlich blind sein. Ich wünsche meiner SPD, dass viele junge Frauen sich auf Posten bewerben und zwar auch auf die Führungspositionen. Um auch hier ein motivierendes Beispiel zu nennen: Für den SPD-Landesvorsitz hat unser Parteitag gerade Sascha Karolin Aulepp für die dritte Amtszeit vorgeschlagen.
Vielen Dank für das Interview
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