Die Lage ist schlecht, aber nicht hoffnungslos!
von Nathalie Schmidt
In Sachens wird gewählt. Folgt man den Umfragen könnte die AfD erstmals stärkste Kraft in einem Landtag werden. Wie geht man damit um? Was macht das mit den Menschen, die dort leben?
Ganz Deutschland schaut nach Osten. Viele Zeitungen schicken Journalist_innen nach Brandenburg oder Sachsen, um vor den Landtagswahlen den Ostdeutschen auf den Zahn zu fühlen. So titelt der Spiegel beispielsweise zum Anglerhut in Deutschlandfarben „So isser, der Ossi.“ Ein klein wenig Voyeurismus. Es gruselt einen ein bisschen, wenn man an den Osten denkt, und irgendwie ist man auch froh, dass man selbst nicht da wohnen muss im braunen Nazi-Sumpf.
Ehrlich gesagt, hatte ich Hoffnung auf ein anderes Sachsen als das Bild, was nun auch immer mehr medial vermittelt wird
Ich bin 2014 nach Dresden gezogen, um Lehramt zu studieren. Das hätte ich faktisch wohl auch in vielen Städten in anderen Bundesländern tun können, aber es ist Dresden geworden. Dresden ist eine schöne Stadt, es gibt viele Kulturangebote, Studiclubs und Kneipen.
Ich bin also kurz nach der letzten Landtagswahl hergezogen. Die NPD war knapp an der 5%-Hürde gescheitert und damit nicht mehr im Landtag vertreten. Dafür zog die AfD mit knapp 10% ein. Lucke führte noch die AfD im Bund an und sie war noch nicht so offen rassistisch und menschenverachtend wie heute. Ehrlich gesagt, hatte ich Hoffnung auf ein anderes Sachsen als das Bild, was nun auch immer mehr medial vermittelt wird.
Knapp zwei Wochen nach meinem Umzug stand PEGIDA zum ersten Mal auf der Straße und ich wurde von vielen Menschen darauf angesprochen, was in Dresden denn los sei, dass das möglich sei. Ich hatte keine Antwort darauf. Mittlerweile gibt es ja viele Antwortversuche, die mal mehr, mal weniger nachvollziehbar sind.
In anderen Städten formierten sich Ableger von PEGIDA, die jedoch (auch) aufgrund von massivem Gegenprotest wenig Zulauf bekamen. In Dresden war das anders. Trotz Herz statt Hetze, DresdenNazifrei, Dresden für Alle und vielen mehr. PEGIDA blieb und der Ton wurde rauer. Es wurden Dinge sagbar, die es vorher nicht waren. So waren rassistische Äußerungen kein Tabu mehr.
Dann Heidenau, Freital, Chemnitz, Plauen. Alles so nah, so gewalttätig. Der Rechtsextremismus in Sachsen muss sich nicht verstecken. Er ist in vielen Gegenden salonfähig geworden. Wenn ich im ländlichen Raum ein Schulpraktikum mache, werde ich damit konfrontiert. Ich mache mir Gedanken darüber, was ich sage. Auch in Sachsen schaltete die AfD schließlich eine Meldeplattform für unliebsame Lehrkräfte. Ich kann davon ausgehen, dass rechtes Gedankengut in den Köpfen vorhanden ist. Bei den Eltern, aber auch bei den Schüler_innen selbst. Das verraten ja schon die Wahlergebnisse der Gemeinden. Denn wer heute die AfD wählt, wählt Nazis.
Im Unterricht oder in den Pausen wird man mit rechten Stammtischparolen konfrontiert. Wer hier Lehrer_in sein will, braucht ein dickes Fell und gute Argumente. Und natürlich die Ausdauer und Geduld, diese immer wieder zu wiederholen.
Man merkt an vielen Stellen, dass Sachsen Eigenheiten hat. Viele Menschen, die in Sachsen leben, identifizieren sich sehr stark mit ihrem Bundesland, mit ihrer „sächsischen Identität“. Das macht es natürlich einfacher, aus dem Lokalpatriotismus handfesten Nationalismus heranzuziehen. Gleichzeitig wirkt es befremdlich auf Menschen wie mich, die nicht in Sachsen geboren wurden. So konnte ich mir schon bei zwei Veranstaltungen der sächsischen CDU anhören, dass ich ja mit meinem Bremer Abi den guten sächsischen Schüler_innen den Studienplatz wegnehmen würde. Es wird, gerade bei Lehramtsstudierenden, erwartet, dass man für diese tolle Möglichkeit, in Sachsen studieren zu dürfen, ewig dankbar ist.
Die Wahlergebnisse der letzten Wahlen und auch die jetzigen Umfragen machen mir, ehrlich gesagt, Angst. Ich glaube der sächsischen CDU nicht, wenn sie eine Kooperation mit der AfD ausschließt. Auf Kommunalebene passiert dies ja schon, in Pirna, Zwickau, Radebeul, Chemnitz und auch im Wahlkreis des derzeitigen Ministerpräsidenten Kretschmer in Görlitz. Die CDU wird die Macht nicht aus der Hand geben wollen. In meinem Umfeld kursieren viele Überlegungen dazu, wie man am besten taktisch wählen sollte. Ich kenne Menschen, die gegen jede Überzeugung überlegen, die Erststimme der CDU zu geben, um einen Wahlkreissieg für die AfD zu verhindern. Damit geht es den wenigsten gut. Auch nach der Wahl ist die Frage: Wie viele Kompromisse müssen die demokratischen Parteien eingehen, wenn es schließlich darum geht, eine Regierungsbeteiligung der AfD zu verhindern? Wie viele Zugeständnisse werden gemacht werden? Wird die CDU diese potentielle Kompromissbereitschaft ausnutzen? Es sind Fragen, die gestellt werden müssen, auch wenn es unangenehm ist und weh tut.
Ich wünsche mir ein progressives Sachsen, in dem auch junge Menschen bleiben wollen. Wenn wir alle wegziehen würden – wer leistet dann noch Widerstand? Wo bliebe die Zivilcourage? Das können wir nicht zulassen. Ich habe Angst vor dem Wahlergebnis. Aber genau diese Angst ist es, die die AfD groß macht. Dadurch, dass wir Angst haben, geben wir denen, die diese Rechten wählen, ein Gefühl von Macht. Das Gefühl, endlich gehört zu werden. Die ständige Berichterstattung und Opferhaltung der AfD hilft der ganzen Sache nicht. Es ist schwierig, aber wir müssen optimistisch bleiben.
Dann bin ich froh, in Sachsen sein zu können, denn ich halte es für wichtig, dagegenzuhalten.
Denn natürlich gibt es Hoffnung – wenn sich zahlreiche Bündnisse formieren, die für ein buntes und weltoffenes Sachsen einstehen. Wenn 40.000 Menschen zur #Unteilbar-Demonstration in Dresden kommen, wenn Kultureinrichtungen für Demokratie einstehen, wenn die Zivilgesellschaft laut wird. Wenn auch in Sachsen Schüler_innen freitags für eine bessere Klimapolitik auf die Straße gehen, Wenn so viele junge Menschen unter 30 für den Landtag kandidieren wie noch nie. Dann bin ich froh, in Sachsen sein zu können, denn ich halte es für wichtig, dagegenzuhalten. Gegen rückwärtsgewandte Politik, ein intolerantes Weltbild und gegen jegliche Menschenfeindlichkeit!
Nathalie Schmidt wohnt in Dresden und studiert Deutsch, Geschichte und Englisch auf Lehramt. Außerdem ist sie Mitglied der Jusos und aktiv bei der Konferenz Sächsischer Studierendendenschaften und dem StuRa der TU Dresden.