von Eva Mahlert
Es ist Mittwoch, 18 Uhr, es regnet und ich sitze im Ortsamt Schwachhausen/Vahr. Heute tagt der Ausschuss für Koordinierung und Globalmittel des Beirats Vahr. Es steht unter anderem die Besetzung des Wirtschaftsausschusses auf dem Programm, aber auch der Beschluss zur Umsetzung dringender Bauvorhaben. Mit Bebauungsplänen habe ich mich noch nie beschäftigt; ich bin überfordert. Es ist mir fast etwas unangenehm, immer nachzufragen. Aber meine Sorgen bleiben unbegründet, denn meine Nachfragen werden mit viel Geduld beantwortet. Die anwesenden Vertreter*innen der Parteien haken kaum nach und nicken das Vorgehen ab. Man geht ohne große Diskussion weiter in der Tagesordnung. Der Bremer Senat beteiligt die Beiräte bei Bauvorhaben, die den Stadtteil betreffen und bittet sie dabei um Stellungnahme. Damit hier kein falscher Eindruck entsteht: Häufig sind kleinere Bauvorhaben ziemlich unkontrovers; es gibt also wenig Uneinigkeiten bei den Vertreter*innen der verschiedenen Parteien.
Doch Beiräte können auch sehr wohl politisch arbeiten. Unsere Arbeit lässt sich als eine Art Stadtteilparlament beschreiben, das von den Behörden zu allen Angelegenheiten, die unseren Stadtteil betreffen gehört werden muss. Das betrifft vor allem die Bereiche Verkehr, Soziales (also z.B. Jugendfreizeitheime), Bildung (Schulen und Kitas), Integration und Kultur. Ein Beirat hat allerdings nur ein begrenztes Entscheidungsrecht. Wenn also in einer der Kitas gerade Personalmangel herrscht, kann er nicht direkt Abhilfe schaffen. Wir Beiratsmitglieder können die Problematik allerdings auf die Tagesordnung der Beiratssitzung setzen und die zuständige Landesbehörde darauf aufmerksam machen.
Die Beiratsmitglieder werden übrigens direkt von der Bevölkerung gewählt. Gerade wenn es um Verkehrsthemen geht, nehmen die Bürger*innen die Möglichkeit des Austauschs sehr gerne in Anspruch. Wir arbeiten also gemeinsam mit interessierten Bürger*innen, aber auch mit den Mitarbeiter*innen der sozialen Einrichtungen, sowie Quartiersmanager*innen an dem Ziel eines lebenswerten Stadtteils.
Für mich ist die ehrenamtliche Arbeit im Beirat eine wirklich gute Möglichkeit die eigene politische Perspektive einzubringen. Die eigene Lebensrealität hat einen direkten Einfluss auf die Themen, für die man sich einsetzt. So setzen sich z.B. Auto-Besitzer*innen eher für eine Verbesserung der Situation des Individualverkehrs ein, während für Radfahrer*innen bessere Radwege im Fokus stehen. Aber wo bleiben bei diesem kurzen Beispiel Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind?
Eine Gruppe in Kommunalparlamenten ist häufig überrepräsentiert: ältere Männer mit einem höheren Bildungsabschluss und ohne Migrationshintergrund.
Es fällt auf, dass eine Gruppe in Kommunalparlamenten häufig überrepräsentiert ist: ältere Männer mit einem höheren Bildungsabschluss und ohne Migrationshintergrund. Die mangelnde Repräsentation anderer Gruppen kann aber zu einer sehr einseitigen Betrachtung der Problemlagen führen. In der Folge werden mitunter wichtige Themen so nicht priorisiert oder gar ganz von der Tagesordnung gestrichen. Dies betrifft vor allem die Anliegen junger Menschen, insbesondere junger Frauen, Geflüchtete und Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen in prekären Erwerbssituationen und Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen. Natürlich können sich auch andere, nicht betroffene Menschen dieser Themen annehmen. Doch ihre Perspektive bleibt einfach immer eine andere. Die Wahlbeteiligung bei Kommunalwahlen ist regelmäßig sehr schlecht. Eine stärkere Beteiligung der oben genannten Gruppen würde sicherlich auch die Mobilisierung zur Wahlurne erhöhen.
Ein regelmäßig gegen die Beiratsarbeit zu hörendes Vorurteil lautet, dass der Beirat sich doch sowieso nur mit Straßenlaternen beschäftigen würde. Schnell folgt oft noch die Frage: „Wie möchtest du diese Themen politisieren oder gar eigene Themen setzen?“ Das sehe ich persönlich anders. Gerade bei der Bau- und Verkehrspolitik kann darauf geachtet werden, dass die Verkehrswende eine nachhaltige wird. Auch bei anderen Themen bietet sich viel Diskussionsspielraum. So haben wir bei der letzten Beiratssitzung den Einsatz eines zusätzlichen Fachausschuss „Arbeit, Wirtschaft und Gesundheit“ diskutiert. Ein Argument dafür war, dass die Themen Arbeit und Wirtschaft von großer Bedeutung für den Stadtteil sind. In der Neuen Vahr ist Langzeitarbeitslosigkeit definitiv ein Problem. Die Situation der Betroffenen kann in einem solchen Ausschuss von einer ganz anderen Perspektive diskutiert werden. Mit dem Einsatz dieses Ausschusses konnte ein wichtiges sozialdemokratisches Thema auf die stadtteilpolitische Agenda gesetzt werden.
Und mit welchen Themen möchte ich persönlich mich nun für „meine“ Zielgruppe einsetzen? Das muss ich zugegebenermaßen auch noch herausfinden. Themen könnten da zum Beispiel die Kita-Versorgung oder der Zugang zu Sprachkursen für junge Mütter sein. Auch die bessere Ausstattung von Jungendfreizeitheimen ist mir wichtig.
Es braucht Diskussionen: klare Positionierungen statt einfachem Abnicken und „Zur-Kenntnis-Nehmen“.
Zum Schluss ein weiterer, wichtiger Punkt: Die AFD versucht sich in der Mitte der Gesellschaft zu etablieren. In der Kommunalpolitik anderer Bundesländer kam es schon zum Schulterschluss von CDU und SPD mit der AFD. Gerade in der Bau- und Verkehrspolitik gibt es möglicherweise Überschneidungen oder – anders gesagt – wenig Differenzen zwischen den Parteien. Die AFD kann bei diesen weniger kontroversen Debatten versuchen, ihre Anwesenheit zu „normalisieren“. Das zeigt, dass es Diskussionen braucht: klare Positionierungen statt einfachem Abnicken und „Zur-Kenntnis-Nehmen“. Mit einer progressiven Themensetzung, die die Diversität der Menschen in den Quartieren beachtet, können und müssen wir die Entwicklung im Stadtteil mitgestalten, auch um das Fuß fassen der AfD zu verhindern. Hierfür brauchen wir frische, andere Perspektiven. Wir müssen vermehrt junge Menschen beteiligen und damit die Chance geben ihre Perspektive miteinzubringen. So können in den Fachausschüssen sogenannte „Sachkundige Bürger“ benannt werden, die ebenfalls vollwertige Mitglieder in den Ausschüssen sind. Hier sollten wir vermehrt junge Menschen einbeziehen, da dies eine gute Möglichkeit bietet, erst einmal in die Beiratsarbeit „reinzuschuppern“. In einigen Stadtteilen ermöglichen zudem Jugendbeiräte eine aktive Mitarbeit junger Menschen in der Kommunalpolitik. Doch die wichtigste Aufgabe sehe ich darin, die Strukturen für alle attraktiver zu gestalten. Wir müssen Interessierte dort abholen, wo sie sind. Dafür könnte zum Beispiel über eine Kinderbetreuung bei Sitzungen sowie einfachere Regelungen zur Vertretung der Beiratsmitglieder nachgedacht werden.
Letztendlich braucht die Politik junge Menschen dringender als man denkt. Sonst läuft man Gefahr einen NPD-Funktionär und bekannten Rechtsextremen zum Ortsvorsteher zu wählen, weil er der Einzige ist der in der Lage ist Emails zu schreiben. (Kann nicht sein? Dann guck mal hier!)
Eva Mahlert ist seit diesem Jahr Mitglied des Beirats Vahr. Ansonsten studiert sie “Komplexes Entscheiden” an der Uni Bremen und arbeitet nebenbei als wissenschaftliche Mitarbeiterin in einem MdB-Büro. In ihrer Freizeit ist sie in der SPD und bei den Jusos aktiv.