Interview: Plötzlich Corona – wie eine freiberufliche Künstlerin mit der Krise umgeht

Hilkes Schwester ist freiberufliche Rampensau und mit Begeisterung bei allem, was sie tut. Im Moment ist das einzige Parkett, das sie betritt, allerdings das ihres Wohnzimmers. Von dort aus verschiebt sie Veranstaltungen oder organisiert neue Formate. Wie betrifft sie diese Zeit und welche Unterstützung wünscht sie sich? Hilke hat für Morgenrot mit ihr über die Corona-Pandemie, die Auswirkungen auf den Kulturbetrieb und eine Zukunft nach Corona gesprochen:

Morgenrot: Wer bist du, was machst du, wie betrifft dich die Corona-Zeit?

Ich bin Insina Lüschen, lebe in Hamburg und arbeite seit zwölf Jahren als freiberufliche Sängerin, Schauspielerin und Moderatorin in ganz unterschiedlichen Bereichen. Ich liebe es auf Konzerten, Menschen Lieder in die Seele zu singen, bei Science-Slam-Moderationen fundierte Wissenschaftskommunikation voranzutreiben, mit Kindern auf Klassenreisen zur Musik Mini-Musicals einzustudieren oder auch mit meinem plattdeutschen Beschwerdechor neue Themen zu diskutieren und Lieder zu komponieren.

Ich mag die Vielseitigkeit meines Jobs, bin ständig unterwegs und genieße das Arbeiten im Team und das Kennenlernen neuer Menschen.

Tja, das ist doch auch schon eine gute Überleitung zu dieser besonderen Zeit  –Corona – allgegenwärtig und das für vermutlich noch lange Zeit.

Als für mich am 11. März 2020 die erste Veranstaltung kurzfristig abgesagt wurde, war mir nicht im Geringsten klar, wie das alles weitergehen würde. Bis zum 18. März wurden dann für die kommenden drei Monate alle Veranstaltungen abgesagt (inzwischen sind es noch deutlich mehr). Es war also klar, meine Arbeit, wie ich sie gewohnt war, und all die Veranstaltungen, für die ich gearbeitet hatte, werden nicht stattfinden.

In besseren Zeiten steht Insina Lüschen als Sängerin und Moderatorin auf verschiedenen Bühnen. Durch die Corona-Pandemie wurden die Veranstaltungen alle abgesagt.
(Bild: Screenshot – youtube.com)

In der Zeit stand ich erst mal unter Schock, das ging vermutlich vielen so, aber ich kann und werde hier natürlich nur für mich sprechen. Bis alles umorganisiert, abgesagt, sortiert, verschoben, kommuniziert, neu gedacht, gut überlegt und abgewägt, alle Mails geschrieben und alle Förderanträge gestellt waren, verging eine Zeit, die mich sehr viel Energie gekostet hat. Dieses Virus, die Bedrohung, die so diffus ist und weit weg schien, betraf plötzlich sehr konkret mein Leben.

Zu realisieren, dass ich nicht alleine bin – es gerade zahlreichen Menschen in diesem Land so geht –, machte die Situation noch skurriler, aber es war tatsächlich auch auf eine Weise beruhigend. Viele meiner Freund*innen und Kolleg*innen sind genauso betroffen und so telefonierten wir uns viel zusammen, um gemeinsam zu schauen, was jetzt wichtig ist und wie wir unsere Jobs über diese ungewisse Zeit hinüber retten können, trotz des massiven wirtschaftlichen Schadens.

In so einer Situation war die Welt noch nie. Niemand kann sicher wissen, wie es weitergeht und was nötig sein wird. Das macht diese Zeit sehr speziell und besonders. In mir persönlich stellte sich sehr bald eine Zuversicht ein, dass ich in einem Land lebe, das behutsam und besonnen versucht, sich dieser Krise zu nähern und sich dabei angemessen von wissenschaftlichen Expert*innen beraten lässt. Ich sehe, wie um Entscheidungen gerungen wird, die zerbrechlichen Fortschritte analysiert und mögliche Lockerungen vorsichtig diskutiert werden. Ich bin dankbar, dass die Verantwortlichen in diesem Land ihre Rolle ernst nehmen und sich der Herausforderung stellen – ich möchte ihren Job nicht machen müssen.

Natürlich sehe ich auch, wie die Coronakrise die Politik und uns alle so einnimmt, dass dadurch auch Unmenschliches aus dem Fokus gerät. Ich möchte daher auch einmal auf die vielen wichtigen Online-Demonstrationen, Petitionen und Möglichkeiten hinweisen, die es möglich machen, sich auch in dieser Zeit von der Couch aus zu engagieren, z.B. unter den Hashtags #leavenoonebehind, #niewieder, #fridaysforfuture oder #häuslichegewalt.

Welche Förderungsmöglichkeiten gibt es? Wie unterscheidet sich das von den Auswirkungen für andere Selbstständige, etwa kleine Handwerksbetriebe oder solo-selbstständige Grafiker*innen, Bauzeichner*innen, etc.?

Inwiefern sich mein Beruf und meine persönliche Situation unterscheiden von kleinen Unternehmen und anderen Solo-Selbstständigen, das kann ich schwer sagen… Ich kann nur von mir und meinen Gedanken und Erfahrungen erzählen. Jeder Mensch ist ja ein Einzelfall, auch in seiner persönlichen, wirtschaftlichen Situation und Auftragslage. 

Daher ist es nur verständlich, dass es schwierig ist Förderanträge allgemeingültig zu formulieren und Dinge abzufragen, anhand derer dann angemessen berechnet werden kann, welche Unterstützung es für die vielen Berechtigten geben soll. Es muss aber natürlich das klare Ziel bleiben, eine schnelle und gerechte Hilfe zu organisieren.

Die einzelnen Länder und auch der Bund versprechen, Soforthilfe für Künstler*innen und Solo-Selbstständige. Was genau das heißt und bedeutet, ist kompliziert. Ich wohne in Hamburg und habe die 2.500 Euro Soforthilfe der Stadt bereits bekommen, weiß aber nicht, ob ich sie nutzen darf.

In meinem Fall fragen die Antragsformulare durchaus an meiner wirtschaftlichen Situation vorbei. Ich hoffe aber darauf, dass Bund und Länder sich weiterhin gut beraten lassen auch von Künstler*innen, damit wir die Gelder, die wir bekommen wirklich so nutzen können, wie wir sie wirklich brauchen, nämlich zum Leben.

Ich habe zum Beispiel kaum betriebliche Ausgaben oder Rücklagen – alles Geld was über bleibt, wird sofort in Produktionen, Musikinstrumente, Equipment, Studiokosten usw. investiert, um immer am Ball zu bleiben. Und natürlich in meine Miete, denn ich brauche eine kleine, aber schöne Wohnung, in der ich mich zuhause fühle und vom vielen Unterwegssein ausruhen, proben, denken, schreiben – eben arbeiten kann. Wenn meine Einnahmen zu 90 % wegfallen, kann ich meine Miete nicht mehr bezahlen, mir nichts mehr zu essen kaufen, geschweige denn großartig unterwegs sein, um zu proben oder gar neue Musik in Studios aufzunehmen. Ich muss mit den Geldern, die jetzt fließen, meine Lebensunterhaltskosten zahlen dürfen, solange die Situation ist, wie sie ist, und wir nicht für Geld arbeiten können. Bisher ist das mit den Geldern von Bund und Ländern nicht möglich. Ich vermute, dass es vielen Menschen so geht und dass die Gelder oft an unseren Bedürfnissen vorbei ausgeschüttet werden.

Die Überlegung angeblich unbürokratisch und ohne spätere Prüfungen Hartz IV, also ein Arbeitslosengeld zu ermöglichen, ist gänzlich an unserer Situation vorbei gedacht. Mir ist wichtig, dass das klar wird, dass wir alle intensiv und auf Hochtouren arbeiten, nur leider zurzeit kein Geld dafür bekommen.

Natürlich sind alle Freiberufler*innen selber dafür verantwortlich, dass sie diesen Weg gewählt haben, der in vielfacher Hinsicht unsicherer ist, als ein Angestelltenverhältnis. Ich bin bereit dieses Risiko für mein Leben zu tragen und habe noch nie Geld vom Staat bekommen – in dieser besonderen Zeit, die global gerade so viele Berufsgruppen und Menschen trifft, erwarte ich aber zeitnahe, staatliche Hilfe für alle Betroffenen und nehme sie gerne an.

Vielerorts wird gerade ein vorübergehendes Grundeinkommen in Erwägung gezogen – ein für mich ohnehin auf Dauer und langfristig gesehen wunderbares Konzept: das bedingungslose Grundeinkommen – ja – für ALLE. Ich weiß wie sehr dieses Thema polarisiert und dennoch bin ich persönlich fest davon überzeugt, dass das Leben sich für viele Menschen positiv verändern würde und dass auch z. B. diese Krise für viele Menschen weniger existenziell und psychisch gefährdend wäre. 

Hinzukommt, dass zahlreiche Verbände, Stiftungen und auch Privatpersonen Initiativen gegründet haben und beginnen, Gelder zu generieren, die sie an Künstler*innen auszahlen können. Ich habe in den letzten Wochen dementsprechend viele Anträge ausgefüllt – mehr Anträge, als je zuvor in meinem Leben. Dabei hat mich immer beeindruckt und gerührt, wer sich verantwortlich fühlt und Unterstützungen möglich macht, die mir persönlich in dieser Situation jetzt helfen. 

Grundsätzlich ist es aber meines Erachtens die Verantwortung und Aufgabe der Politik sich um eine erfolgsunabhängige Unterstützung zu kümmern.

Gerade in solchen Situationen braucht man flexible Institutionen. Künstler*innen verlassen sich auf die Künstlersozialkasse (KSK). Was ist und wie funktioniert die Künstlersozialkasse?

Ohne die Künstlersozialkasse wären viele von uns verloren. Der KSK zahle ich monatlich einen, von meinem Einkommen abhängigen, Beitrag. Normalerweise müsste ich als Selbstständige meinen Arbeitgeberanteil für die Sozialversicherung selber tragen – hier greift die KSK ein und übernimmt diesen Anteil, so dass ich kranken, pflege-, renten-, und anderweitig sozialversichert bin. Wenn nun ein Auftraggeber*in eine künstlerische, freiberufliche Leistung bucht, muss eine Abgabe an die KSK gezahlt werden. Weitere Infos wie die KSK funktioniert sind gibt es auf der Website: www.kuenstlersozialkasse.de

Wir konnten nun als KSK-Mitglieder unser geschätztes Einkommen für dieses Jahr herabsenken, damit sich folgerichtig auch die Abgaben an die KSK verringern. Das klingt erstmal gut, ist allerdings natürlich nur ein verschobenes Problem, da ich natürlich, wenn ich weniger einzahle später, auch weniger aus z. B. der Rentenkasse bekomme. Hier wäre es logisch und wie ich finde angemessen gewesen, der Staat hätte die Differenz übernommen – das wäre eine wirkliche Hilfe.

Ebenso können wir unsere Einkommensteuervorauszahlungen aussetzen und die Steuerzahlungen für 2019 stunden lassen – aber auch das ist natürlich nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben.

Wie gestaltest du jetzt deinen Alltag?

Die neue Kreativität, mit der jetzt Solo-Selbstständige und Künstler*innen sich im Netz einen neuen Raum erobern, ist phänomenal, eindrucksvoll und gleichzeitig erschreckend. Der Zugzwang, den ich fühle, um da mitzuhalten, um als Künstlerin diese Krise zu überstehen ist zehrend. Zahlreiche Konzerte werden live gestreamt, Podcasts schießen aus dem Boden, es werden viele neue Lieder, Texte, Filme, Theaterstücke, Kolumnen usw. geschrieben – vielleicht eine regelrechte Corona-Ära an kreativen Ergüssen.

Auch ich mache da fleißig mit und bin sehr gespannt, wohin das alles führen wird. Es entstehen neue Songs, ich schreibe mit meiner Cousine Annie Heger unser Premierenprogramm für die Deichgranaten, wir drehen „Verklarials“ (Tutorials auf Plattdeutsch) und produzieren Videos für zahlreiche Plattformen und Online-Formate. Zweimal in der Woche bin ich jetzt in meinem Wohnzimmer live online mit hunderten Menschen verbunden, da wir zwei Science-Slam-Formate für diese besondere Zeit aus dem Boden gestampft haben, um mit dem Publikum verbunden zu bleiben, um Formaten der Wissenschaftskommunikation auch jetzt eine Plattform zu geben usw. Das Ganze – wie bereits gesagt – ohne Geld dafür zu bekommen. Entschleunigung, Besinnung und zur Ruhe kommen ist in mir gerade nicht fühlbar.

Kannst du optimistisch in deine Zukunft blicken?

So sehr mich diese Zeit zunächst auch erschreckt hat, ich bin zuversichtlich und hoffnungsvoll, dass wir viel Gutes aus dieser Zeit mitnehmen werden in das „danach“. Möge es bunter, schöner, solidarischer, wertschätzender, freundlicher und besonnener bleiben.

Ich wünsche den Verantwortlichen dieses Landes den Mut, sich drängenden sozialen Fragen zu stellen, z. B. das Gehalt für viele Menschen zu überdenken, die gerade dieses Land am Laufen halten und retten, das Schulsystem, die Lehrer*innenfortbildungen und die Digitalisierung in zahlreichen Bereichen in den Blick zu nehmen und verantwortungsvoll zu gestalten, so dass die Würde aller Menschen geachtet werden kann. Ich wünsche Europa, dass es logischerweise Menschen willkommen heißt und ein Zuhause gibt, die keines mehr haben und wir in Zukunft mit Wonne und gutem Gewissen Freude schöner Götterfunken singen können. Ich wünsche jedem Einzelnen, dass wir den Weitblick und das intensive Gefühl nicht vergessen, dass wir einen Unterschied machen können, indem wir unser Handeln und Leben solidarisch gestalten, so wie wir es gerade erleben und üben.

Ach, das wird ein Fest, wenn wir wieder miteinander singen, wenn wir uns wieder live begegnen (also kauft schon mal Karten für Live-Veranstaltungen, damit kann man Künstler*innen auch jetzt gut in der Krise helfen) in unseren Lieblingscafés sitzen und Veranstalter*innen ihre Räume wieder füllen mit zahlreichen und vielfältigen Formaten, wenn wir uns wieder in den Arm nehmen können zur Begrüßung und zur Verabschiedung, wenn ich wieder meine Familie und Freund*innen besuchen kann und in der Sonne sitze.

Es ist eine sonderbare Zeit, aber die Demut und die Dankbarkeit darüber, wie gut ich es in meinem Leben habe, spüre ich deutlich.

Vielen Dank für die Beantwortung unserer Fragen und die Einblicke in deine Arbeit in der Krise. 

Insina Lüschen (Bild: Lenja Schulze)

Insina Lüschen wurde 1978 in Ostfriesland geboren. Nach dem Abitur machte sie eine Ausbildung an der Stage School in Hamburg und studierte anschließend an der Universität in Oldenburg Musik, Deutsch und Religionspädagogik auf Lehramt. Seit 2006 wohnt sie in Hamburg und arbeitet freiberuflich als Schauspielerin, Sängerin und Moderatorin u.a. für die Stiftung „Kinder brauchen Musik“ von Rolf Zuckowski und den NDR.

Weitere Informationen über Insina Lüschen und ihre Arbeit findet ihr hier:
http://www.insina.de/

Das mehr zum Programm der „Deichgranaten“ gibt’s hier:
https://www.facebook.com/deichgranaten/
https://www.instagram.com/deichgranaten/

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