Von Mirko Kruse
Die Erfolge rechtspopulistischer Parteien und Politiker weltweit haben die gesellschaftliche Mitte erschüttert, die nun nach Erklärungen für dieses Wahlverhalten sucht. Während viele Wissenschaftler*innen lange Aufsätze und ganze Bücher über Ungleichheit, Unzufriedenheit, Fremdenhass und Ressentiments geschrieben haben, erscheinen nun auch zunehmend Romane zu diesem Thema. Sei es in Frankreich zum Aufstieg des ehemaligen Front National („Rückkehr nach Reims“ von Didier Eribon) oder in Deutschland zur Erklärung der AfD-Erfolge („Mit der Faust in die Welt schlagen“ von Lukas Rietzschel). In den USA wäre das entsprechende Buch „Hillbilly Eligie“ von J.D. Vance, das hier kurz besprochen werden soll.
„Die Geschichte meiner Familie und einer Gesellschaft in der Krise“, so der Untertitel des 2016 veröffentlichten Buches. Der Autor erzählt hier die Geschichte seiner Familie, die in den Appalachen (eine Gebirgsregion im Nordosten der USA) wohnt und sich selbst als „Hillbillies“ (Hinterwäldler) bezeichnet. Die Schilderungen zeichnen das klischeehafte Bild typischer Landbewohner: Harte Arbeit, einfache Menschen, wenig Perspektive. Der Autor wächst mit wechselnden Vaterfiguren auf, zieht ständig um oder lebt bei den Großeltern, weil er Ärger mit seiner Mutter hat. Armut, häusliche Gewalt und Drogenprobleme in der Familie runden das Bild ab. Zu erwarten wäre, dass in diesem Zusammenhang auch das Leben von J.D. Vance ebenso verläuft wie das seiner Freunde: Mit einem schlecht bezahlten Job mitten im Nirgendwo und ohne Plan für die Zukunft.
Stattdessen gelingt es ihm, durch schulische Leistungen der enge seines Zuhauses zu entfliehen, auf die Highschool zu gehen und später sogar in Yale Jura zu studieren. Heute ist der Autor – wie sollte es anders sein – erfolgreicher Investmentbanker. Das Buch ist im Prinzip also eine Neufassung der klassischen „Vom Tellerwäscher zum Millionär“-Geschichte, die besonders in den USA hochgehalten wird.
Das Buch ist besonders durch die politische Perspektive des Autors scher einzuordnen. J.D. Vance ist Republikaner (wenn er sich auch von den Verschwörungstheorien Trumps distenziert) und widmet seiner Zeit bei den Marines große Teile des Buches und lobt hier besonders die Aufgabe des Individuums und die klaren Regeln in der Armee. Die Schuld für die Misere der Menschen in den ländlichen Gebieten der USA sieht er vor allem bei ihnen selbst, weil sie ihre Jobs nicht ernstnehmen und dauernd fehlen würden, weil sie keinen Wert auf Bildung legen und weil sie sich selbst aufgegeben hätten. Gegenmaßnahmen werden daher auch quasi keine vorgeschlagen, dass der Staat helfen könnte, bezweifelt der Autor. Zumindest verzichtet er darauf, sich selbst und seinen Erfolg zu hoch zu loben und geizt nicht mit Selbstkritik.
Nur weil der Autor eine andere Perspektive anbietet, als die, der man gemeinhin zuneigt, ist das natürlich kein Argument gegen das Buch. Literarisch sind vor allem die Schilderungen der Lebensrealität von Amerikanern abseits der großen Städte mehr als lesenswert und verdienen unbedingt mehr Beachtung – gerade auch von denen, die diese Menschen politisch vertreten wollen. Über die politische Aussage des Buchs kann man streiten, auch die Beschäftigung mit anderen Meinungen kann aber auch ein Gewinn sein.
4/5 Sternen