von Laura Reyes
Navid ist im Jahr 1993 geboren, er ist ein Jahr älter als ich. Wenn ich ihn im Krankenhaus besuche lache ich viel, er hat Humor und kümmert sich liebevoll um seinen etwas senilen Bettnachbarn. Sagt, das Krankenhaus müsste ihn eigentlich dafür bezahlen, dass er ihn immer wieder vor sich selbst beschützt. Es ist schon seltsam. Navid ist ein Freund dem man Bücher mitbringt, eine gute Besserung wünscht und dann geht man wieder nach Hause. Man schreibt sich hin und wieder auf Telegram und hat dabei nicht immer im Kopf, dass er in der Gefahr lebt dieses Land relativ bald verlassen zu müssen. Dabei ist diese Gefahr so allgegenwärtig. Navid ist akut von einer Kettenabschiebung über Dänemark nach Afghanistan bedroht, ein tödliches Nebenprodukt der Dublin-III-Misere. Die Verordnung regelt die Zuständigkeit der Asylverfahren innerhalb der EU Staaten. Demnach ist jenes Land für das Asylverfahren zuständig, in dem der Asylsuchende zuerst registriert wurde. In Navids Fall ist dieses Land leider Dänemark und Dänemark schiebt nach Afghanistan ab, europäische Wertegemeinschaft hin oder her. Die drohende Abschiebung nach Afghanistan ist allerdings nicht nur auf Grund Navids Transportunfähigkeit fahrlässig sondern auch komplett absurd, da er seit seiner frühen Kindheit nicht in Afghanistan lebte, sondern im Iran. Verfolgt man Navids Lebensgeschichte, fällt einem auf, wie willkürlich und leicht Abschiebungen in unsichere Herkunftsländer international möglich sind.
Im Iran hatte es Navids Familie als afghanische Flüchtlinge nicht leicht. Navids Vater führte die Familie mit harter Hand und verlangte von seinen Söhnen strikte religiöse Disziplin, duldete keine Widersprüche. So kam es nach einem heftigen Streit dazu, dass Navid von seinem Vater verstoßen wurde. Navid konnte sich monatelang alleine durchschlagen und fand sogar einen stabilen Job in der Stahlindustrie. Da sein Vater jedoch seinen Pass und seine Papiere einbehielt, wurde Navid von den iranischen Behörden bei einer Razzia festgenommen und nach Afghanistan deportiert. Dort war er, ohne Papiere und soziale Absicherung, völlig auf sich allein gestellt. Nach 3 Monaten in Afghanistan wagte Navid aus Verzweiflung die Flucht nach Europa. In Dänemark wurde er, nach einer langen Odyssee, an der Weiterreise nach Schweden gehindert und stellte aus Mangel an Alternativen dort seinen Asylantrag. In der dänischen Stadt Ellebæk erfuhr Navid am eigenen Leib, dass rechtspopulistische Politik unweigerlich zu Menschenrechtsverletzungen führt. Die Behörden lehnten seinen Asylantrag trotz seines katastrophalen Gesundheitszustandes ab und verweigerten ihm, in der Abschiebehaft und anschließend in einem ‘Refugee Camp’ in Aalborg, die so dringend notwendige, medizinische Versorgung . Das geht nicht nur gegen jede humanitäre Intuition, sondern ist schlicht und einfach eine Verletzung seiner Grundrechte. Es ist verdammt entwürdigend und während ich darüber schreibe sträuben sich mir immer noch die Nackenhaare. Navid hat eine lange Fluchtgeschichte hinter sich und kämpft seit seiner Kindheit mit den Folgen der unzureichenden Behandlung seiner Polioerkrankung. Aufgrund starker Schmerzen und der gravierenden psychischen Belastung, befand er sich zeitweilig in Lebensgefahr bis er mithilfe dänischer Freund*innen nach Bremen floh. Hier konnte er sich endlich in ärztliche Behandlung begeben.
Dass in einem europäischen Land überhaupt ein offensichtlich schwer kranker Mensch in Abschiebehaft gesteckt und quasi sich selbst überlassen wird, ist nicht nur peinlich, sondern vor allem ein Versagen europäischer Asylpolitik. Umso wichtiger ist es, dass die Bürger*innen Europas nicht wegsehen und dafür kämpfen, dass Menschenrechte geachtet werden. Wir sprechen hier schließlich nicht um sonst von einer Wertegemeinschaft, in welcher die Würde des Menschen das Fundament unser aller Grundrechte darstellt. Dass die Würde Schutzbedürftiger geachtet und geschützt wird, ist in Europa heute leider keine Selbstverständlichkeit mehr. Sollte Navid im weiteren Verlauf des Geschehens nach Dänemark abgeschoben werden geht das nächste Flugzeug direkt nach Afghanistan, also in das Land, in dem die Taliban wieder auf dem Vormarsch sind, in dem täglich Menschen ermordet werden. Die Abschiebung von Bremen aus erfolgt offiziell in einen Drittstaat und nicht in das Heimatland. Denn ein sicherer Hafen, zu welchem sich Bremen im Sommer 2018 erklärte, schiebt nicht nach Afghanistan ab. Wir behalten in dieser unübersichtlichen Bürokratiemühle unsere weiße Weste und gehen dabei im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen. Afghanistan ist nicht sicher und Navid kein Einzelfall!
Es ist hierbei wichtig zu betonen, dass Deutschland weder in der Lage ist, die unterschiedlichen Standards im Asylsystem der einzelnen EU-Staaten zu kontrollieren, noch das Recht hat, diese Diskrepanzen zu ignorieren. So kann und darf internationale Zusammenarbeit nicht aussehen. Denn, wer wegschaut wird zum Mittäter. Deshalb hat sich um Navid eine von der Seebrücke Bremen initiierte Kampagne gegründet, die sich gegen Abschiebungen generell und Kettenabschiebungen im Speziellen richtet. Die Initiative #navidstays fordert die Aussetzung des Dublin III-Verfahrens und den sofortigen Stopp von Sammel- sowie Kettenabschiebungen! Des Weiteren verurteilt sie die Kampagne ‚freiwillige Rückkehr‘ des Bundesinnenministeriums!
Migration ist und war schon immer Teil unserer Gesellschaft. Anstatt dass wir sie bekämpfen und Grenzen auf eine zunehmend brutale Art und Weise dicht machen, brauchen wir ein offenes Europa, solidarische Städte und sichere Häfen.
Laura Reyes ist Aktivistin der Seebrücke Bremen, der Bewegung die seit Juli 2018 den Protest gegen die Kriminalisierung von Seenotrettung unterstützt hat. Zusammen mit anderen Teilnehmer*innen der Proteste hat die 24-jährige die Initiative #Navidstays gestartet.